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Aus hohen Ansprüchen folgt hohe Qualität

Aus hohen Ansprüchen folgt hohe Qualität 1280 640 C2C LAB

1982 hat Jürgen Hack gemeinsam mit Kerstin Stromberg Sodasan gegründet. Damals wurden die ersten Mischungen für Reinigungsmittel noch im Betonmischer produziert und die erste Rezeptur hieß aufgrund eines Druckfehlers „Spürmittel“ statt „Spülmittel“. Seither ist der Vordenker für ökologische Wasch- und Reinigungsmittel und Nachhaltigkeitspionier mit Sodasan einen langen Weg gegangen. Im LAB Talk mit Nora hat sich Jürgen am 30.07. über sein Verständnis eines ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatzes und die politischen Rahmenbedingungen dafür unterhalten.

Nach seinem Chemie-Studium hat Jürgen Hack zunächst in der Erdölbranche gearbeitet. Dann verliebte er sich, hängte ein Studium der Sozialwissenschaften dran und fand dann doch den Weg zurück zur Chemie. Statt auf Erdöl konzentrierte er sich allerdings auf die Idee, ökologische Reinigungsmittel zu entwickeln – auch durch den Einfluss seiner nachhaltigkeitsbewussten Partnerin. Daraus entstand schließlich das Unternehmen Sodasan. Man glaubt ihm, wenn er davon erzählt, er sei nie dem Geld hinterhergelaufen. Trotzdem ist Sodasan heute ein finanziell gesundes Unternehmen. Seiner Überzeugung nach komme diese gesunde Ökonomie von allein, wenn man hohe ökologische und soziale Ansprüche erfülle und damit qualitativ hochwertige Produkte liefere. Um diesen Ansprüchen zu entsprechen, verfolgt Jürgen mit Sodasan einen ganzheitlichen Ansatz. Dazu, so sagte er, gehöre auch, Cradle to Cradle in allen Bereichen umzusetzen.

Von erneuerbarer Energie in der Produktion bis hin zu biologisch abbaubaren Reinigungsmitteln

Viele Konsument*innen würden bei Reinigungsmitteln nur nach biologischer Abbaubarkeit fragen. Für Jürgen hingegen ist das nur der letzte Teil der Produktbiografie, wenn auch ein wichtiger. Welche Energieform wird zur Produktion verwendet? Woher kommen überhaupt die Rohstoffe, sind sie nachwachsend oder petrochemisch? Und wenn sie nachwachsend sind, stammen sie aus ökologischem Landbau? All dies müsse bei der Produktentwicklung und Produktion beachtet werden, was auch Achtsamkeit bei der Wahl der Lieferant*innen fordere, sagte er.

Auch für C2C NGO sind transparente und nachvollziehbare Lieferketten enorm wichtig. Denn die Frage, ob soziale Standards bei der Herstellung eingehalten wurden, oder ob importierte Produkte möglicherweise Schadstoffe enthalten, hängt direkt davon ab. Allein aus Gründen der künftigen Wettbewerbsfähigkeit ist es kaum nachvollziehbar, dass es nur wenige Unternehmen wie Sodasan gibt, die sich diese Transparenz selbst auferlegen. Das diskutierte Lieferkettengesetz würde dabei helfen, dies zu ändern.

Die wahren Kosten der Herstellung müssen im Preis abgebildet werden

Weil Sodasan auf Qualität achtet, sind die Reinigungs- und Waschmittel aber oft teurer als konventionelle Produkte von den Big Playern. „Auch wenn wir biologische Rohstoffe einsetzen, wäscht das Waschmittel ja nicht besser“, sagte Jürgen. Ihn störe allerdings, dass die höheren Kosten an einem System lägen, in dem die wahren Kosten der Herstellung nicht in den Preisen abgebildet würden. Ein Argument, dem Nora voll zustimmte. Die Kosten für Schäden der Produkte an Mensch und Natur trage die Allgemeinheit, während die Gewinne privatisiert würden.

Aus der Nische heraus weiter zu wachsen sei kompliziert, sagte Jürgen. Man müsse sich dafür einem anderen Umfeld aussetzen, einem Ellbogen-wirtschaften, das härter und unsolidarischer als in der Ökobranche üblich um die Preise feilsche. Und das ist für Jürgen, dem es nach wie vor „nicht um größtmögliche Rendite geht“, fremd. Andererseits: „Was nützt es, ökologische Produkte zu haben und niemand kauft sie?“ Jürgen sieht sein Engagement mit Sodasan vor diesem Hintergrund auch gerne als Impulsgeber. Vor 40 Jahren gab es kaum Nachfrage für ökologische Produkte. Heute, nicht zuletzt auch durch Bewegungen wie Fridays for Future, sei das Bewusstsein dafür geschärft.

Jürgen sieht auch die Bemühungen großer Hersteller in Richtung mehr Nachhaltigkeit positiv – wenngleich es sich um kleine Schritte handele. Wenn Unternehmen mit kleinem ökologischem Fortschritt viele Menschen erreichten, bewirke das vielleicht mehr, als wenn ganzheitlich ökologische Hersteller nur Wenige erreichten, erläuterte Jürgen. Unterm Strich reichen die Bemühungen dem Nachhaltigkeitspionier aber natürlich nicht aus. Er wünscht sich in allen Belangen einen ganzheitlichen Ansatz: „Wir sind noch nicht am Ziel, wir sind auf dem Weg“, sagte er. Was er sich für die Zukunft wünschen würde? Mehr ökologischen Landbau und eine Abkehr von der industriellen Landwirtschaft als Grundlage. Er versuche mit Sodasan ein Vorbild zu sein und wolle weiterhin Impulse für eine bessere Zukunft setzen.

Von mangelnder Geschwindigkeit beim Umweltschutz und dem Green Deal als Chance für Europa

Von mangelnder Geschwindigkeit beim Umweltschutz und dem Green Deal als Chance für Europa 1536 1024 C2C LAB

Canan Bayram ist direkt gewählte Bundestagsabgeordnete des Berliner Wahlbezirks Friedrichshain-Kreuzberg – und da befindet sich auch unser C2C LAB. Mit Tim sprach die Grünen-Politikerin und Juristin im LAB Talk unter anderem darüber, was sich der Rest der Welt von diesem bunten Kiez abschauen kann, welches Alleinstellungsmerkmal die Grünen auszeichnet, wenn alle Parteien über Nachhaltigkeit reden und warum es in Berlin viele Orte wie das C2C LAB geben sollte.  

Canan Bayram hat unser C2C LAB zuletzt bei der Eröffnungsfeier im September 2019 besucht – und seither ist viel passiert. Unter anderem konnten wir durch die Corona-Maßnahmen lange keine Gäste vor Ort empfangen und haben daher die digitalen LAB Talks etabliert. Dabei war klar: Sobald es wieder möglich ist, wollen wir vort Ort mit der Bundestagsabgeordneten darüber sprechen, wie sie die vergangenen Monate erlebt hat und wie sich die Nachhaltigkeitsdiskussion in der Politik aus ihrer Sicht in dieser Zeit verändert hat – auch vor dem Hintergrund des Corona-Pakets, dass die Bundesregierung geschnürt hat, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern. Am 25. Juni war es soweit.  

“Mein Eindruck ist, dass das Thema Nachhaltigkeit so drängend ist, dass es während Corona nicht von der Agenda gerutscht ist”, sagte Canan. Die Diskussion um die Hilfen für die Autoindustrie habe gezeigt, dass ein Bewusstsein dafür da sei, dass es nicht weitergehen könne wie bisher. Das schreibt Canan auch den Demonstrationen junger Menschen in den vergangenen beiden Jahren zu: “Auch wenn die Jugend derzeit nicht mehr so präsent auf die Straße gehen kann, sie wird mit ihrem Anliegen noch gehört”, ist sich Canan sicher.  

CradletoCradle im öffentlichen Diskurs  

Auch Cradle to Cradle sieht sie in diesem Zusammenhang im Diskurs angekommen. Es werde zunehmend darüber diskutiert, dass schon bevor ein Produkt hergestellt oder ein Gebäude gebaut wird, darüber nachgedacht werden muss, was damit nach der Nutzung geschehen soll. Unter anderem wird im Action Plan Circular Economy der EU-Kommission darauf abgehoben, dass nachhaltiges und zirkuläres Wirtschaften bereits beim Design beginnen müsse. Eine Position, die dem C2C Designkonzept entspricht und von uns als NGO daher begrüßt wird.  

Doch wie geht Canans Partei Bündnis 90/Die Grünen damit um, dass solche Positionen auf nationaler und europäischer Ebene nun auch bei jenen Parteien angekommen sind, die sich traditionell wenig mit den Themen Klima und Umwelt beschäftigt haben? “Wir freuen uns, wenn solche wichtigen Themen Konsens werden, aber wir prangern auch an, wenn Greenwashing betrieben wird”, so Canan. Sie sieht gute Chancen für die Grünen, nach der nächsten Bundestagswahl Regierungsverantwortung zu übernehmen, gerade weil sich mit Klima- und Umweltschutz ein traditionell grünes Thema in der Breite durchgesetzt hat. “Jetzt kommt es auf uns an, wir haben die Leute, die dafür brennen und stehen in den Startlöchern. Wir lassen uns da aber nichts vormachen: Wir haben uns die Kompetenz für diese Themen über Jahrzehnte angeeignet”, so Canan.  

Dieser Zeitraum, warf Tim an dieser Stelle ein, spreche allerdings auch für mangelnde Geschwindigkeit. “Wir diskutieren noch immer über die Themen, über die Einige vor 30 Jahren schon diskutiert haben”, sagte er. Die Frage heute sei doch: Wie erreichen wir einen schnellen Wandel, und zwar innerhalb eines demokratisch erreichten Konsenses? Canan ist davon überzeugt, dass die Veränderungsbereitschaft der Bürger*innen heute größer sei als vor Corona – und damit eine der bisherigen Hürden zumindest niedriger geworden ist. “Wenn der politische Wille da ist und damit die Macht, die sich aus einer demokratischen Wahl ergeben hat, dann sind große Veränderungen möglich”, sagte sie. Es brauche aber auch eine Vision und die Vorstellung davon, was geleistet werden könne. “Und dafür braucht es eben auch Orte wie euren hier, wo man hingehen kann und sich die konkrete Umsetzung einer Idee anschauen kann. Wenn es solche Räume gibt haben wir die Kraft, diese Veränderung auch in den Mainstream zu bekommen”, so Canan.  

Friedrichshain-Kreuzberg verbindet Freiheit mit Verantwortung 

In Canans Wahlbezirk Friedrichshain-Kreuzberg sind viele Veränderungen, die auch Cradle to Cradle anstrebt, bereits Realität. Nicht unbedingt im Bereich kreislauffähiger Gebäude oder vieler Unternehmen, die C2C umsetzen. Aber Prinzipien wie Wiederverwenden und Teilen und ein gesundes soziales Miteinander, die eben auch Teil von C2C sind, werden hier stärker gelebt als in anderen Stadtteilen oder Städten. Gleichzeitig steht der Bezirk aber eben auch für eine hedonistische Lebensweise, die die Menschen und das Leben selbst feiert. “Manchmal sind wir aus all diesen Gründen das Schreckgespenst, dass die CDU gerne aufmalt. Aber wir zeigen eben auch, dass es möglich ist, Freiheit so mit Verantwortung zusammen zu bringen, dass es keine Last ist”, so Canan.  

Nachholbedarf hat Berlin aus C2C-Sicht aber noch an vielen Stellen. Ein guter Start wäre, Cradle to Cradle als Kriterium für öffentliche Ausschreibungen einzuführen, wie auch ein Zuschauer bemerkte. Rechtlich sei dies durchaus möglich, so Canan. Und zudem sei der Zeitpunkt gut, solche Forderungen zu stellen, da die Parteien bald damit beginnen, an ihren Wahlprogrammen für die nächste Wahl zu schreiben. “Ich nehme diesen Vorschlag gerne mit und reiche sie an das Land Berlin weiter”, sagte Canan. Der Einfluss der Politik auf die landeseigenen Wohnbaugesellschaften sei “ausbaufähig”. Die Verankerung von C2C-Kriterien in Ausschreibungen seien daher ein probater Anreiz für diese Gesellschaften.  

Der Green Deal als “große Chance für Europa” 

Wichtiger sei es allerdings, auf übergeordneter, und damit auf europäischer Ebene, Rahmenbedingungen für eine lebenswerte Zukunft zu setzen. Ein Gesetz wie jenes zum Verbot von Einwegplastik wäre im nationalen Rahmen nur schwer umzusetzen gewesen, so Canan. “Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will den europäischen Markt regulieren damit sich die Wettbewerbsvoraussetzungen ändern und niemand einen Wettbewerbsnachteil hat. Dann ist es einfacher, bestimmte Dinge in den Markt zu bringen. Das ist eine große Chance für Europa”, schätzt Canan den European Green Deal ein. Hoffnung gibt ihr dabei auch, dass von der Leyen mit der Unterstützung von Ländern ins Amt gewählt wurde, die “normalerweise nicht an der ersten Reihe von Veränderung stehen”. Das sei “ein Hinweis darauf, dass man diese Länder bei Umweltpolitik Einklang mit Wirtschaftspolitik mitnehmen kann”.  

Cradle to Cradle aus nationalen Roadmaps in europäische Gesetze bringen

Cradle to Cradle aus nationalen Roadmaps in europäische Gesetze bringen 1116 835 C2C LAB

LadejaGodinaKošir ist eine der zentralen europäischen Netzwerkerinnen für eine umfassende Kreislaufwirtschaft. Im ersten englischen LAB Talk erklärt sie im Gespräch mit Tim, warum CradletoCradle in den Action Plan Circular Economy einfließen sollte und warum nationale Roadmaps dafür eine gute Voraussetzung sind.  

Dass Ladeja Godina Košir eine überzeugte Europäerin ist, zeigt sich allein daran, dass sie fünf Sprachen spricht. Darunter ein wenig Deutsch, ihre Muttersprache Slowenisch und Englisch. Im ersten englischen LAB Talk wurde aber auch darüber hinaus deutlich, dass ihr die Entwicklung und Zukunftsfähigkeit der EU und Europas am Herzen liegt. Und, dass sie eine Transformation der europäischen Wirtschaft in eine echte Kreislaufwirtschaft als den Weg sieht, diese Zukunftsfähigkeit zu sichern.  

Die dreifache Mutter ist nicht nur Gründerin und Executive Director der slowenischen Stakeholder-Plattform Circular Change, sondern leitet seit 2017 auch die Koordinationsgruppe der European Circular Economy Stakeholder Platform, die unter anderem von der EU-Kommission gegründet wurde.  In der Koordinationsgruppe sind 24 Organisationen, Branchenverbände und NGOs vertreten, die die Einführung einer europäischen Kreislaufwirtschaft vorantreiben wollen. “Wir wollen die Botschaft verbreiten, zum Mitmachen einladen, unser Wissen sowie Praxisbeispiele teilen”, erklärte Ladeja beim LAB Talk am 28. Mai im Gespräch mit Tim.  

Natürliche Kreisläufe als Vorbild nehmen  

Der Kern ihrer Botschaft: Kreislaufwirtschaft sei ein Werkzeug, um unsere Lebensqualität künftig zu erhalten. Als Vorbild und Argument dafür dienten die Kreisläufe der Natur. “Wenn man seinen logischen Menschenverstand nutzt und darüber nachdenkt, was es braucht, um Lebensqualität und einen bestimmten Lebensstandard zu erhalten, dann kommt man automatisch zur Circular Economy”, so Ladeja.  

Wie auch Tim, erkennt Ladeja einen Trend, dass sich diese Erkenntnis zunehmend durchsetzt. Vor fünf Jahren sei Kreislaufwirtschaft lediglich unter politischen Entscheidungsträger*innen ein gängiger Begriff gewesen. Für die meisten Wirtschaftsakteur*innen sei es dabei lediglich um Abfallmanagement gegangen. “Langsam sehen wir, dass die Wirtschaft darin eine branchenübergreifende Chance erkennt”, so Ladeja. Auch C2C NGO wolle Politik und Unternehmen an einen Tisch bringen, so Tim. “Alle Stakeholder zu vernetzen und so Cradle to Cradle voranzubringen ist Kern unserer Arbeit. Denn unsere Ziele werden wir nur erreichen, wenn alle an einem Strang ziehen”, sagte er.   

Allerdings, auch da stimmten die beiden überein, halte die Angst vor Veränderung viele Entwicklungen nach wie vor auf. Dabei, so Ladeja, sei es wichtig, Herausforderungen anzunehmen und Veränderungen als Chance zu erkennen, die Dinge besser zu machen. “Gerade treffen mit   Corona und der Klimakrise zwei Krisen aufeinander. Das lähmt die Menschen. Aber wir müssen für neue Lösungen und den Umgang damit offenbleiben”, sagte sie. Der Wille, Umzudenken, sei auf dem Weg zu einer lebenswerten Zukunft für alle wichtiger als einzelne Bausteine wie etwa die zweifelsohne benötigte Senkung der CO2-Emissionen.   

Bausteine unseres Systems neu zusammensetzen 

Corona habe gezeigt, dass viele Systeme, in denen wir uns bewegen, nicht mehr funktionieren. Sie nannte das Gesundheits- und Bildungswesen sowie das Wirtschaftssystem als Beispiele dafür. Um auf die künftigen Herausforderungen für Menschen und die Umwelt reagieren zu können, sei es daher notwendig, diese Systeme umzubauen. “Wie bei einem Lego-Bauwerk müssen wir die einzelnen Bauteile voneinander trennen und das Bauwerk neu aufbauen. Wir lösen unsere Probleme nicht, indem wir zurück in die Höhle kriechen und verzichten, sondern indem wir neue Wege gehen”, so Ladeja.  

Auch der Weg zu einer europäischen Kreislaufwirtschaft bestehe aus vielen einzelnen Bauteilen, so Ladeja, und meint damit vor allem nationale Roadmaps. Ladeja schrieb 2016 an der National Roadmap Circular Economy in Slowenien mit und erzählte, welche Erfahrungen sie daraus für ihre Arbeit auf europäischer Ebene zog. “Wir müssen regionale Unterschiede beachten. In einem Land, das früher kommunistisch war, braucht es andere Herangehensweisen, um die Menschen davon zu überzeugen, dass beispielsweise Sharing-Modelle zukunftsfähig sind und die Menschen dafür nicht zurückstecken müssen”, sagte sie. Dort habe Eigentum aus historischen und kulturellen Gründen einen ganz anderen Stellenwert als in anderen Ländern. Die Roadmaps ermöglichten wichtige Einblicke in die regionalen Gegebenheiten und die dortigen Stakeholder und eine steile Lernkurve von Region zu Region. “Das ist eine gute Ausgangsbasis für eine breite Einführung von Kreislaufwirtschaft”, ist sie überzeugt. Das entspricht auch dem Gedanken von Cradle to Cradle. Die C2C Denkschule beinhaltet, dass regionale Unterschiede und Vielfalt in der Ausgestaltung einer C2C-Welt beachtet und positiv genutzt werden.  

CradletoCradle in den Aktionsplan Kreislaufwirtschaft einbringen 

Diese Gangart ist für Ladeja auch die einzige Möglichkeit, auf globaler Ebene etwas zu bewegen. Es funktioniere nicht mehr, etwa Entwicklungsländern Denkweisen überstülpen zu wollen. Insbesondere, wenn es um Klima- und Umweltschutz gehe. “Viele Menschen in diesen Ländern leben besser mit der Natur im Einklang als wir es tun”, so Ladeja. Stattdessen müsse zusammengearbeitet werden, um gemeinsam Lösungen zu finden, die auf regionaler und globaler Eben funktionierten.  

Das Konzept Kreislaufwirtschaft und Cradle to Cradle als breiterer Ansatz müssen für Ladeja dabei Hand in Hand gehen. “Die Koexistenz von Menschen und Umwelt, die bei Cradle to Cradle elementar ist, muss auch im Sinne der Kreislaufwirtschaft stärker betont werden. Der technologische und der biologische Kreislauf werden bei C2C nicht nur perfekt beschrieben, sondern vor allem auch durch Lösungen möglich gemacht”, sagte sie. Das gelte auch für jene Bereiche wie Textilien, Plastik oder den grundsätzlichen Umgang mit Ressourcen, die im Aktionsplan Kreislaufwirtschaft der EU enthalten sind. Daher sollte ihrer Meinung nach möglichst viel C2C in diesen Aktionsplan einfließen. “Viele C2C-Standards könnten dazu beitragen, die Transformation schneller voranzubringen”, so Ladeja abschließend.  

Das Undenkbare denken

Das Undenkbare denken 2560 1920 C2C LAB

Mojib Latif, Klimaforscher, Meteorologe, Hochschullehrer und seit 2017 Präsident der deutschen Gesellschaft Club of Rome, ist jemand, der stets einen Schritt weiter denkt. So sieht er den Zusammenhang zwischen sozialer Gerechtigkeit und der Klimakrise auf dem Weg zu einem besseren Wirtschaftssystem oder hinterfragt die derzeitige Diskussion rund um die Mobilitätswende. Warum das so ist und ob unsere Wirtschaft weiter wachsen sollte, war Thema von Mojib Latif und Tim im Rahmen unseres LAB Talks am 14. Mai 2020.

Soziale und globale Gerechtigkeit gehe Hand in Hand mit Klima- und Umweltschutz. Oder anders gesagt: Wer kümmert sich um Klimaschutz, wenn man drei Jobs hat und sich um das Überleben in der Gesellschaft sorgt? Eine Lösung ist für Mojib: „Wohlstand für alle, dann regelt sich der Rest von allein!“ Eine grundlegende Angst von Vielen sei, dass der kleine Mann* oder die kleine Frau* die Zeche zahlen müsse. Momentan beute ein kleiner, reicher Teil der Gesellschaft den Rest der Welt für mehr Profit aus. Stattdessen bräuchten wir ein neues Wirtschaftssystem, in dem die Preise die realen Kosten wiederspiegeln und Profit zu Lasten der Umwelt sich nicht mehr lohnt – in dem Punkt sind sich Mojib und Tim einig: Ein gerechtes Wirtschaftssystem, in dem Dinge neu gedacht werden. Das bedeute für Mojib auch, dass die Gelder zur Unterstützung der Wirtschaft im Zuge der Coronakrise nicht für die Entwicklung von neuen SUVs, sondern für eine komplette Mobilitätswende genutzt werden. Die Diskussion ob Wasserstoffantrieb, Verbrennungsmotor oder doch E-Mobilität die Lösung sei, sei zu kurz gedacht. Denn ein Auto stehe sowieso nur 80-90 Prozent der Zeit rum, ohne genutzt zu werden. Man müsse endlich anfangen, das Undenkbare zu denken und Verkehr als Serviceleistung sehen. Eine Forderung nach neuen Geschäftsmodellen, die auch Cradle to Cradle stellt.

Dafür, dass früher als Utopien bezeichnete Entwicklungen durch Innovation und konsequentes Umdenken Realität werden können, gibt es Mojib zufolge ein gutes Beispiel: die Entwicklung erneuerbarer Energien. „Hättest du vor 20 Jahren gesagt, wir produzieren in 20 Jahren zu weit über 40% aus Sonne und Wind, also erneuerbar, du wärst ausgelacht worden.“ Genauso wurde bereits vor sieben Jahren im Bundestag vor einer Pandemie gewarnt und gefordert, dass man sich besser darauf vorbereiten müsse. Trotzdem wurde damals zu wenig unternommen, weil es undenkbar schien. Mojib warnt nun schon seit Jahren vor den gefährlichen Auswirkungen unseres Handelns auf Klima und Umwelt, auch wenn diese Einigen momentan undenkbar vorkommen.

Eine Frage treibt Mojib derzeit jedoch besonders um: Ob die Klimakrise durch die Coronakrise in Vergessenheit gerät. Er fürchtet, dass sich dabei die Vergangenheit wiederholen könnte. Bereits 2006 lenkte der frühere US-Vizepräsident Al Gore mit dem Film „Eine unbequeme Wahrheit“ das öffentliche Interesse auf den Klimaschutz. Dann kam die Finanzkrise und anschließend die weltweite Wirtschaftskrise und das Thema Klimaschutz war plötzlich vom Tisch. So dürfe es diesmal nicht laufen, da sind sich Mojib und Tim einig. Vielmehr solle mit den Konjunkturpaketen im Rahmen der Coronakrise die notwendige Umstrukturierung unseres Wirtschaftens angestoßen, soziale Gerechtigkeit hergestellt und wirksamer Umwelt- und Klimaschutz vorangetrieben werden.

Das ganze Gespräch gibt es als Video oder als Audio-Podcast.

„Handeln lernen lernst du nicht am Schultisch“

„Handeln lernen lernst du nicht am Schultisch“ 2560 1290 C2C LAB

Cradle to Cradle (C2C) bedeutet unter anderem, die Potentiale des Menschen zu nutzen und ihn als Chance zu sehen. Darin stimmt auch unser LAB Talk-Gast vom 11. Juni, Margret Rasfeld, mit uns überein. Die ehemalige Lehrerin und Schulleiterin sowie Mitbegründerin von Schule im Aufbruch spricht von einer anderen Art der Schule, in der der Mensch über dem Lernstoff steht. Kinder seien kluge Wesen, sagte Rasfeld. Sie seien kreativ und hätten viel Potential. Sie wollten sich einbringen und sollten überall mit einbezogen werden. Kinder dürften nicht degradiert werden, um Standards zu erfüllen, so die ehemalige Lehrerin.

Anfang der 1990er schaute sich Rasfeld die Agenda 21, dem Aktionsplan der Vereinten Nationen mit Leitlinien für das 21. Jahrhundert, vor allem zur nachhaltigen Entwicklung, genauer an. Sie fragte sich, was die Inhalte der Kapitel zu Bildung sowie Kinder- und Jugendpartizipation genau bedeuten sollen. Sie wurde inspiriert, unter anderem vom Weltaktionsplan Bildung für Nachhaltige Entwicklung von der UNESCO, dessen Inhalte sie noch in ihrer heutigen Arbeit begleiten und auch bei Schule im Aufbruch eine wichtige Rolle spielen. Dazu gehören Verantwortungsübernahme für sich selbst, für die Mitmenschen und für unseren Planeten.

„Handeln lernen lernst du nicht am Schultisch“, sagte Rasfeld im LAB Talk. Umso wichtiger seien Projektarbeiten und die Partizipation der Schüler*innen, die sie im Gespräch oft erwähnte. Genau diese Punkte spielen auch eine wichtige Rolle, um Cradle to Cradle in die Schulen zu bringen. Kinder müssen und möchten inspiriert werden und können so von C2C erfahren. Das kann beispielsweise durch einen kurzen Erklärfilm geschehen oder durch „Produkt“beispiele. Kinder können gemeinsam mit Lehrer*innen neue Projekte entwickeln und dabei ihren eigenen Fragen selbst nachgehen und forschen. Vor allem in Schulen, die „Projektlernen“ anbieten, könne C2C laut Rasfeld so einfach mit einbezogen werden. Aber jede*r Lehrer*in hätte auch die Möglichkeit, C2C selbst im Unterricht einzubinden: Nachdem C2C kurz erklärt wird, führen Schüler*innen Interviews oder erstellen selbst einen Film – auch das sei Deutschunterricht, so Rasfeld. Auf diesem Weg könnten die unterschiedlichsten Themen den verschiedenen Fächern eingebracht werden. Damit das geschieht, sind sich Nora und Rasfeld einig, müssen wir mutig sein. Es gebe viele Menschen, die etwas verändern möchten – sei es in der Bildung oder im Bereich C2C. Der wichtigste Schritt aber sei, diese Änderungswünsche ansprechen – und dann auch aktiv zu werden.

Das ganze Gespräch gibt es als Video oder als Audio-Podcast.

Reines Bier und müffelnde Shirts

Reines Bier und müffelnde Shirts 1024 768 C2C LAB

Bela B ist das wahrscheinlich bekannteste Mitglied in unserem Beirat. Dass der Künstler nicht nur sein Gesicht für unsere NGO hergibt, sondern sich wirklich mit Cradle to Cradle beschäftigt und von dem Konzept begeistert ist, zeigte sich im LAB Talk. Darin sprach er mit Tim unter anderem über Nachhaltigkeit in der Musikindustrie und was Bier und der Gestank neuer T-Shirts damit zu tun haben.  

Seit 2018 ist Bela B – stehender Schlagzeuger von Die Ärzte, Schauspieler und Autor – Mitglied in unserem Beirat. “Wenn du bekannt bist, hast du die Verantwortung, gute Ideen, von denen du überzeugt bist, nach außen zu tragen. Und das ist bei Cradle to Cradle bei mir der Fall”, begründete Bela im LAB Talk am 7. Mai seine Entscheidung, ehrenamtlich bei uns im Beirat mitzumachen.  Mit Cradle to Cradle sei er erstmals in Berührung gekommen, als er auf YouTube über einen Vortrag von C2C-Vordenker Michael Braungart gestolpert sei. Beim Anschauen sei ihm bewusst geworden: “Das ist eine positive Bewegung, die so viele Antworten auf all die Fragen hat, die ich mir manchmal stelle: Wo kommt eigentlich her, was wir essen? Und warum stinkt das neue T-Shirt, das so schön aussieht?” Es müsse uns als Gesellschaft darum gehen, die Erde zu erhalten. “Und C2C bietet mit dem positiven Fußabdruck den richtigen Ansatz dafür”, so Bela.  

Von der klimaneutralen Tour zur Landwirtschaft

Wie aber kann die Musikindustrie dazu beitragen, die Welt nach Cradle to Cradle zu gestalten? Richtig mit Ressourcen umzugehen und so Müll zu einem überflüssigen Konzept werden zu lassen? Ansätze gebe es da genügend, erzählte Bela. Beispielsweise klimaneutrale Tourneen, bei denen die Band Kompensationsleistungen für die eigenen CO2-Emissionen, zum Beispiel der Tourbusse, und die des Publikums erbringe. Ähnlich, wie die CO2-Emissionen von Flügen kompensiert werden können. Gemeinsam mit den Toten Hosen seien die Ärzte hier schon vor rund 15 Jahren aktiv geworden. Das könne man zwar als Ablasshandel bezeichnen, so Bela, aber “dann können wir Konzerte künftig nur noch Online machen”. Für ihn sei das keine Lösung – und auch für seine Band nicht, die zwar ein paar Prinzipien habe (keine Werbung machen und nicht mit der Bild-Zeitung reden), ansonsten aber nicht zu jenen gehöre, die immer und überall “dagegen” seien. “Davon gibt es schon genug, wir wollen positiv sein”. Auch das gehöre eben zu Cradle to Cradle.  

Tatsächlich unterscheidet sich Cradle to Cradle in genau diesem Punkt wesentlich von anderen Umwelt- und Klimaschutzansätzen, wie Tim im Gespräch klar machte. So verteufeln wir CO2 nicht pauschal, sondern sehen das positive an diesem Stoff. In den natürlichen Kreisläufen der Natur ist Kohlenstoffdioxid ein extrem wichtiger Rohstoff – mit dem wir Menschen nur komplett falsch umgehen. Wir pusten ihn in die Atmosphäre – und belassen ihn auch noch dort. Sinnvoll wäre es dagegen, ihn der Atmosphäre wieder zu entziehen und ihn in unsere Böden einzubringen. Böden mit höherem Kohlenstoffgehalt können mehr Nährstoffe und Wasser speichern und an Pflanzen abgeben – das Ergebnis wären gesündere Böden, und damit eine gesündere Landwirtschaft, sowie bessere Luft für uns Menschen und eine geringere Belastung für das Klima.

Vom Öko-Bandshirt zu CradletoCradle 

In Richtung Cradle to Cradle gehe es bei den Ärzten dafür in einem anderen Bereich. Früher hätten sich Bands nicht darum geschert, wo und wie beispielsweise Band-Shirts hergestellt wurden. Die Ärzte hätten sich über die Jahre aber immer mehr damit beschäftigt, “korrekte Ware”, wie Bela es nennt, anzubieten. “Und wenn man am Stand dazu schreibt, dass das Shirt 1,50 Euro mehr kostet, dafür aber klar ist, dass es aus einem nachhaltigen Wertstoff hergestellt wurde und die Leute fair bezahlt wurden, dann wird das verstanden”, so Bela. Und von Bio- und Fairtrade-Shirts kommend, gehe es immer weiter. “Wir arbeiten da jetzt enger mit euch zusammen und versuchen bei den Ärzten über das Merchandise in Richtung Cradle to Cradle zu gehen”, sagte Bela.  

Von der komplexen Botschaft zur Erkenntnis

Damit adressierte er auch gleich eine Frage aus dem virtuellen Publikum. Cradle to Cradle ist ein holistischer Ansatz, der die Klima- und Umweltprobleme dieser Welt von verschiedenen Ansatzpunkten aus adressiert. C2C auf einen Satz wie “reduziert den CO2-Ausstoß” oder “haltet die Gewässer sauber” zu verknappen, wird der Sache daher nicht gerecht. Wie also kann jemand wie Bela dazu beitragen, C2C bekannter zu machen? Über die Musik sei das schwierig, räumte Bela ein. Die sei im Bereich Rock und Pop nicht dazu geeignet, komplexe Botschaften zu verpacken. Das dürfe aber nicht davon abhalten, es auf anderem Wege zu versuchen. “Beispielsweise eben über das Merchandising. Bei großen Bands – oder auch großen Sportveranstaltungen – sprechen wir da von einem spürbaren Textilzweig. Und darüber kann so ein Thema in die Masse getragen werden”, ist sich Bela sicher.  

Er verstehe sich dabei auch als Botschafter. Auch er habe lange gedacht, T-Shirts, die aus recycelten Plastikflaschen hergestellt wurden, seien besonders “cradelig”. Heute wisse er, dass das Unsinn ist, weil sich die synthetischen Fasern nicht abbauen und damit das Müllproblem nur zeitlich nach hinten verschieben. Tatsächlich tragen die Abriebe synthetischer Fasern aus Textilien, etwa beim Waschen, erheblich zur Verschmutzung der Weltmeere mit Mikroplastik bei. Und die Verschmutzung von Gewässern ist Bela, der sich bei Viva con Agua auch für sauberes Trinkwasser weltweit einsetzt, ein großer Dorn im Auge.   

Oft ist es ja so, dass alltäglich Beispiele dabei helfen, solche Zusammenhänge in den Köpfen der Menschen zu verankern. So erklärte Tim, dass in einem Liter Bier schon bis zu 80 synthetische Fasern nachgewiesen werden konnten – und beim Bier, da waren sich Bela und Tim einig, höre ja zumindest in Deutschland für die meisten der Spaß auf.

Wie wollen wir in Zukunft leben?

Wie wollen wir in Zukunft leben? 2560 1920 C2C LAB

Ralf Fücks ist nicht nur Politiker der Grünen, sondern auch Gründer des Zentrums Liberale Moderne. Früher als Aktivist und später als Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung war er zudem stets Teil der Umweltbewegung. In unserem LAB Talk vom 30. April hat sich Fücks mit Nora über die unterschiedlichen Konflikte innerhalb der Umweltbewegung unterhalten und erklärt, warum wir kein Verständnis mehr von Fortschritt haben.

Auch wenn sich Ralf Fücks seit seiner Jugend für Umwelt- und Klimaschutz engagiert: Mit der Richtung, in die die Debatten innerhalb dieser Bewegung teilweise laufen, ist er nicht immer einverstanden. „Wir haben keine Vorstellung von Fortschritt mehr“, sagte er beim LAB Talk mit Nora. In der Umweltdebatte werde größtenteils Katastrophenabwehr nach dem Motto „die Zukunft ist eine Bedrohung“ diskutiert. Es werde nicht mehr agiert, sondern lediglich reagiert, waren sich Nora und Fücks einig. Notwendig sei eine neue Ökonomie der intelligenten Koproduktion, um Synergieeffekte mit der Umwelt zu schaffen, so Fücks. All das bietet Cradle to Cradle aus unserer Sicht: Lösungen für unsere aktuellen Probleme, ohne dabei die individuelle Freiheit durch Verbote einzuschränken. Trotzdem wird im Gespräch von Ralf Fücks und Nora deutlich, dass dies nicht das einzige Problem der aktuellen Umweltbewegung ist.

Wie Generationenkonflikte den öffentlichen Diskurs bestimmen

So beschäftigt Ralf Fücks auch der öffentlich ausgerufene Generationenkonflikt zwischen der jungen und der älteren Generation á la Greta gegen die alten weißen Männer. Der bestimme sowohl den Diskurs in der Umweltbewegung als auch den in der Coronakrise mit. Fücks zufolge fordert die junge Generation mehr Achtsamkeit und Veränderungswillen von der älteren Generation im Rahmen der Klimadebatte, während die ältere Generation wiederum mehr Achtsamkeit von den Jungen im Rahmen der Coronakrise erwartet. Im Gespräch sagte er, dass er keine Sonderbehandlung in Zeiten von Corona wolle und in der Umweltdebatte auch den pauschalen „Ihr habt versagt!“-Vorwurf an die Älteren für Nonsens halte. Da sowohl die Coronakrise als auch die Klimakrise globale Probleme sind, führten diese egozentrischen Konflikte zu nichts, stimmten Nora und Fücks überein.

Ein anderer Konflikt innerhalb der Umweltbewegung sei die Positionierung zu Globalisierung und Digitalisierung. Während für viele die Globalisierung als Wurzel allen Übels gilt, sieht Fücks diese als zivilisatorischen Fortschritt. Zwar verbreite sich so ein Virus in einer globalisierten Welt viel schneller, jedoch ist die globale Vernetzung für den Grünen-Politiker auch ein Segen in vielen Dingen, etwa bei der Entwicklung von Medizin. Was uns allerdings die aktuelle Situation mehr als verdeutliche, so Fücks, sei, dass wir krisenfeste Systeme brauchen. Insofern dürfe die Frage nicht sein, wie man die Globalisierung rückgängig machen könne. Sondern wie sie krisenfest gestaltet werden könne. Dies könnte Fücks zufolge aber auch dazu führen, krisenrelevante Güter wieder regionaler zu produzieren, um in Krisensituationen nicht abhängig von anderen Ländern wie China zu sein.

Ist die Coronakrise ein Modellfall für die Klimapolitik?

Definitiv sei die Coronakrise kein Modellfall, da ist sich der Gründer des Zentrums für Liberale Moderne mit Blick auf eine in Teilen der Umweltbewegung zuletzt häufig geäußerte These sicher. Einerseits, da im Zuge des Infektionsschutzes die individuellen Freiheiten enorm eingeschränkt würden und Fücks überzeugt ist, dass jeder Mensch die Chance haben sollte, sein Leben frei zu gestalten. Andererseits, weil die Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus nur an der Oberfläche kratzten und nicht grundlegend die Systeme veränderten. Was jedoch ihm zufolge benötigt wird, ist ein struktureller Wandel, um eine ökologische Transformation voranzutreiben. Cradle to Cradle – das bedeutet auch, Dinge neu zu denken. Warum sollte man, wie einige aus der Umweltbewegung fordern, das Fliegen verbieten? Fliegen sei insbesondere in Zeiten, in denen die Kinder, wie bei Fücks der Fall, über die Welt verstreut leben, ein wichtiges Kulturgut. Wir brauchten daher kein Verbot, keine Reduktion. Sondern ein neues Verständnis von Fortschritt. Einen Fortschritt, der Fliegen neu erfinde und umweltverträglich gestalte. Denn anders als viele in der Umweltbewegung predigen, lösen Verbote und Verzicht der Cradle to Cradle Denkschule zufolge nicht die Ursache der Probleme, sondern bekämpfen lediglich deren Symptome.

Für uns als NGO gehört zu den von Fücks beschriebenen neuen ökonomischen Ansätzen auch, dass wir neue Preismodelle benötigen, die die ökologische Transformation ermöglichen. Kritiker bemängeln oft, dass umweltverträgliche Produkte zu teuer seien. Dem liegt für uns jedoch ein falsches Verständnis zu Grunde. Wie Nora im Gespräch erklärte, spiegeln die Preise für Güter in unserem aktuellen Wirtschaftssystem die Schadschöpfung nicht wider. Würden die Kosten des Schadens, den ein Produkt an der Umwelt verursacht, mit einkalkuliert und müssten die Unternehmen für diese Schäden an Mensch und Umwelt zahlen, hätten sie kein ökonomisches Interesse mehr daran, so wie derzeit weiter zu produzieren, so Nora. Trotzdem sollte man „nicht unterschätzen, inwieweit die ökologische Transformation in einer Industriegesellschaft mit sehr hohen Investitionen verbunden“ ist, mahnte Fücks. Aber auch wegen dieser benötigten Investitionen seien Umweltbewegungen wie Degrowth keine Lösung, da dadurch Investitionen zurück gingen.

Die aktuelle Situation rund um Corona findet der Grünen-Politiker gefährlich für die Finanzierung der ökologischen Transformation. Zwar könne man die benötigten Konjunkturprogramme für eben diese Transformation nutzen. Allerdings sei eine gewaltige Steigerung der Staatsverschuldung durch die Coronakrise zu erwarten – und Verluste bei den Unternehmen. Gleichzeitig litten die privaten Haushalte unter Kurzarbeit und die private Kaufkraft gehe zurück. Insgesamt würden so die benötigten Investitionen zurückgehalten oder blieben komplett aus. Man könnte sagen, wir „verschießen momentan unser gesamtes Pulver“, so Fücks. Die Frage, wie man die benötigten Mittel für unsere Umwelt aufbringt, erfordert für ihn eine Priorisierung der Investitionen. Viele Vertreter*innen der Umweltbewegung hatten gefordert, Unternehmen wie die Lufthansa bankrott gehen zu lassen. Dies sei jedoch nicht nur aus umwelttechnischen Gesichtspunkten zu bewerten, so Fücks, da dies viele Menschen den Job gekostet hätte.

Letztlich sei es auch keine Lösung, umweltschädliche Bereiche stillzulegen. Auch Cradle to Cradle will Wege finden, umweltschädliche Bereiche umweltverträglich zu gestalten.

Über Nationalismus, Müllverbrennungsanlagen und internationale Zusammenarbeit

Unser derzeitiges Produktions- und Wirtschaftssystem ist nicht zukunftsfähig, stimmten Nora und Fücks im Gespräch überein. Neben struktureller Probleme verlangten uns die Corona- und die Klimakrise auch politisch einiges ab. Nationalismus sei derzeit ein weltweit erstarkendes Problem. Autoritäre Regime priesen sich als handlungsfähiger als Demokratien in Krisenzeiten an. Dabei berge die Rückbesinnung auf das nationale nur weitere Schwierigkeiten, da unsere Krisen globaler Natur seien, so Fücks. Vielmehr sei eine Art Club-Governance von Nöten, ein Zusammenschluss von Vorreiterstaaten in Sachen Umweltpolitik für gemeinsame Entscheidungen. Man könne nicht warten bis alle 195 Staaten sich auf einen gemeinsamen Kurs geeinigt hätten. Auch müsse sich die Art der internationalen Zusammenarbeit ändern. Wenn die in Sachen Umweltpolitik weiterhin darin bestehe, Müllverbrennungsanlagen oder direkt den Müll zu exportieren, dann werde das strukturelle Problem nicht gelöst. Es gelte, echte Win-Win-Situationen zu schaffen, bei denen kein Land auf Kosten eines anderen profitiere. Ralf Fücks sieht die Europäische Union im Zuge dessen als Modellfall und positives Beispiel für globale Kooperation. Und wenn die Europäische Union scheitert, da ist sich Ralf Fücks sicher, dann schaffen wir es nie, eine internationale erfolgreiche Umweltpolitik zu gestalten.

Hält Corona uns in der Erreichung umweltpolitischer Ziele auf? Als Optimist ist Ralf Fücks überzeugt, dass unser Bewusstsein für die Krisenanfälligkeit des Systems steigt und somit auch die Bereitschaft, die ökologische Transformation anzugehen. Was wir ihm zufolge brauchen ist eine intelligentere Ökonomie, ein „nach vorne Denken“, das sich nicht im Klein-Klein des Nationalismus oder in Katastrophenabwehr der Zukunft verliert. Nicht zuletzt auch mit Cradle to Cradle.

Ein ökosystemrelevantes Update ist verfügbar

Ein ökosystemrelevantes Update ist verfügbar 1366 976 C2C LAB

Dieser Text ist in leicht abgeänderter Form unter dem Titel “Wiederverwenden statt wegwerfen” als Gastkommentar in der Frankfurter Rundschau (Ausgabe 26. Mai 2020, Seite 10, sowie online) erschienen. Eine Langfassung des Textes ist hier verfügbar

Von Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen

Die Coronakrise als Chance zu feiern wäre zynisch. Den Neustart, den sie verursacht, nicht für die Installation eines Updates zu nutzen, wäre fahrlässig. Dieses Update ist für unser Ökosystem höchst relevant — ökosystemrelevant. Es sieht eine Wirtschaft vor, in der nichts mehr auf dem Müll landet, sondern alles von der Wiege zur Wiege geht: „Cradle to Cradle“ (C2C).

In einer solchen Welt existiert das menschengemachte Konzept „Müll“ nicht mehr. Sämtliche Produkte werden so designt, dass alle Bestandteile biologisch abbaubar sind oder sortenrein getrennt und bei gleicher Qualität endlos wiederverwertet werden können. Statt das Falsche zu reduzieren, haben wir angefangen, das Richtige zu produzieren. In dieser Welt ist der Gedanke, sich so zu verhalten, als gäbe es uns nicht — etwa „klimaneutral“ — absurd.

Was utopisch klingen mag, ist für alle anderen Lebewesen auf der Erde völlig normal. Doch auch bei uns Menschen existieren schon jetzt zehntausende Produktbeispiele, die aus gesunden und kreislauffähigen Materialien bestehen: Teppiche, die die Raumluft reinigen, trinkbares Putzmittel oder Gebäude, die mehr Energie produzieren als sie verbrauchen. Um aber die Ökosystemrelevanz des C2C-Updates aufzuzeigen, reicht schon ein einziges simples Beispiel: Sitzbezüge. Herkömmlicherweise bestehen sie aus synthetischen Fasern, die zahlreiche Schadstoffe enthalten – allen voran höchst problematische Flammschutzmittel. Sobald wir uns aufs Sofa oder ins Auto setzen, reiben wir diese Schadstoffe vom Bezug ab und atmen sie dann ein — inzwischen sind sie in Muttermilch und am Nordpol nachweisbar. Nach dem kurzen Dasein als Sitzbezug werden diese Textilien als Sondermüll verbrannt – genauso wie unzählige andere Kleidungsstücke, Taschen oder Vorhänge, die für Hautkontakt völlig ungeeignet sind.

Ökologischer Unsinn und ökonomischer Wahnsinn

Hier trifft ökologischer Unsinn auf ökonomischen Wahnsinn: Gewinne, die so erzielt werden, landen auf privaten Konten. Doch die ökologischen Schäden und die Verschwendung begrenzter Rohstoffe zahlen wir alle. Wäre dieser Raubbau im Preis berücksichtigt, wären solche Textilien geradezu aberwitzig teuer. Genau das ist im C2C-Update vorgesehen: Unternehmen müssen für die Umweltschäden, die sie verursachen, zur Kasse gebeten werden! Dann können Kund*innen entscheiden, ob sie realistisch-horrende Endpreise zahlen — oder ob sie lieber zu C2C-Produkten greifen, die ökologisch durchdacht und dadurch ökonomisch unschlagbar sind.

Der Abrieb von C2C-Textilien ist biologisch abbaubar, und damit übrigens auch für Hautkontakt geeignet. Beim Anbau ihrer Fasern werden Ackerböden nicht ausgelaugt, sondern aufgebaut. Textilverschnitte dienen als Torfersatz. Ihre gesamte Produktionskette ist klimapositiv und ermöglicht die endlose Wiederverwertung von Rohstoffen.

Die derzeit übliche Praxis ist das exakte Gegenteil davon: Cradle to Grave — früher oder später landet alles auf dem Müll. Das vergiftet Gewässer, Böden und Lebewesen, schafft Fluchtursachen und verschärft Generationenkonflikte. Dieses fragile System wird von der Coronakrise hart getroffen: Wertschöpfungsketten brechen zusammen, eine Rezession historischen Ausmaßes droht. Dass Unternehmen mit Liquiditätssicherungen durch eine Krise gerettet werden, die sie nicht verursacht haben, ist verständlich. Nicht verständlich hingegen sind Konjunkturprogramme für Technologien, die schon heute von gestern sind. Umweltzerstörerische Produktionsweisen dürfen nicht länger mit Steuergeldern subventioniert werden! Stattdessen müssen wir genau jetzt den Fortschrittsmotor anwerfen, indem wir ökonomische Anreize für ökologische Innovationen setzen.

Der Green Deal als Werkzeug

Für die Installation des C2C-Updates ist der Green Deal der EU daher ein großartiges Tool. Die Summe von etwa einer Billion Euro darf dabei wirklich nur jenen Unternehmen zum ökonomischen Vorteil werden, die ökologische Vorteile schaffen. Unternehmen, die nicht mit der Zeit gehen, müssen eben mit der Zeit gehen. In einer Welt mit wachsender Bevölkerung brauchen wir nicht weniger Konsum, Technologie und Wirtschaft, sondern bessere Formen davon. Statt also darüber zu reden, was wir reduzieren wollen, sollten wir uns positive Ziele setzen: Wie können wir Lebensräume gesund und lebenswert gestalten? Welche Technologien ermöglichen uns ein positives Dasein als Nützlinge der Erde?

Irren ist menschlich; die Irrtümer unserer jetzigen Wirtschaftsweise schwimmen als Müllkontinente im Meer. Ebenso menschlich ist es aber auch, Fehler zu korrigieren. Dafür müssen wir nach dem Vorbild der Natur wirtschaften und alles in endlosen Kreisläufen zirkulieren lassen. So können wir gut leben und dabei in eine positive Zukunft schauen. Das ökosystemrelevante C2C-Update steht zur Installation bereit.

Über die Autor*innen:

Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen sind Mitgründer*in und geschäftsführende Vorständin/Vorstand der spendenfinanzierten und gemeinnützigen Nichtregierungsorganisation Cradle to Cradle NGO (C2C NGO).

Bildquelle: Frankfurter Rundschau

Wie wollen wir in Zukunft leben?

Wie wollen wir in Zukunft leben? 1024 768 C2C LAB

Ralf Fücks ist nicht nur Politiker der Grünen, sondern auch Gründer des Zentrums Liberale Moderne. Früher als Aktivist und später als Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung war er zudem stets Teil der Umweltbewegung. In unserem LAB Talk vom 30. April hat sich Fücks mit Nora über die unterschiedlichen Konflikte innerhalb der Umweltbewegung unterhalten und erklärt, warum wir kein Verständnis mehr von Fortschritt haben.

Auch wenn sich Ralf Fücks seit seiner Jugend für Umwelt- und Klimaschutz engagiert: Mit der Richtung, in die die Debatten innerhalb dieser Bewegung teilweise laufen, ist er nicht immer einverstanden. „Wir haben keine Vorstellung von Fortschritt mehr“, sagte er beim LAB Talk mit Nora. In der Umweltdebatte werde größtenteils Katastrophenabwehr nach dem Motto „die Zukunft ist eine Bedrohung“ diskutiert. Es werde nicht mehr agiert, sondern lediglich reagiert, waren sich Nora und Fücks einig. Notwendig sei eine neue Ökonomie der intelligenten Koproduktion, um Synergieeffekte mit der Umwelt zu schaffen, so Fücks. All das bietet Cradle to Cradle aus unserer Sicht: Lösungen für unsere aktuellen Probleme, ohne dabei die individuelle Freiheit durch Verbote einzuschränken. Trotzdem wird im Gespräch von Ralf Fücks und Nora deutlich, dass dies nicht das einzige Problem der aktuellen Umweltbewegung ist.

Wie Generationenkonflikte den öffentlichen Diskurs bestimmen

So beschäftigt Ralf Fücks auch der öffentlich ausgerufene Generationenkonflikt zwischen der jungen und der älteren Generation á la Greta gegen die alten weißen Männer. Der bestimme sowohl den Diskurs in der Umweltbewegung als auch den in der Coronakrise mit. Fücks zufolge fordert die junge Generation mehr Achtsamkeit und Veränderungswillen von der älteren Generation im Rahmen der Klimadebatte, während die ältere Generation wiederum mehr Achtsamkeit von den Jungen im Rahmen der Coronakrise erwartet. Im Gespräch sagte er, dass er keine Sonderbehandlung in Zeiten von Corona wolle und in der Umweltdebatte auch den pauschalen „Ihr habt versagt!“-Vorwurf an die Älteren für Nonsens halte. Da sowohl die Coronakrise als auch die Klimakrise globale Probleme sind, führten diese egozentrischen Konflikte zu nichts, stimmten Nora und Fücks überein.

Ein anderer Konflikt innerhalb der Umweltbewegung sei die Positionierung zu Globalisierung und Digitalisierung. Während für viele die Globalisierung als Wurzel allen Übels gilt, sieht Fücks diese als zivilisatorischen Fortschritt. Zwar verbreite sich so ein Virus in einer globalisierten Welt viel schneller, jedoch ist die globale Vernetzung für den Grünen-Politiker auch ein Segen in vielen Dingen, etwa bei der Entwicklung von Medizin. Was uns allerdings die aktuelle Situation mehr als verdeutliche, so Fücks, sei, dass wir krisenfeste Systeme brauchen. Insofern dürfe die Frage nicht sein, wie man die Globalisierung rückgängig machen könne. Sondern wie sie krisenfest gestaltet werden könne. Dies könnte Fücks zufolge aber auch dazu führen, krisenrelevante Güter wieder regionaler zu produzieren, um in Krisensituationen nicht abhängig von anderen Ländern wie China zu sein.

Ist die Coronakrise ein Modellfall für die Klimapolitik?

Definitiv sei die Coronakrise kein Modellfall, da ist sich der Gründer des Zentrums für Liberale Moderne mit Blick auf eine in Teilen der Umweltbewegung zuletzt häufig geäußerte These sicher. Einerseits, da im Zuge des Infektionsschutzes die individuellen Freiheiten enorm eingeschränkt würden und Fücks überzeugt ist, dass jeder Mensch die Chance haben sollte, sein Leben frei zu gestalten. Andererseits, weil die Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus nur an der Oberfläche kratzten und nicht grundlegend die Systeme veränderten. Was jedoch ihm zufolge benötigt wird, ist ein struktureller Wandel, um eine ökologische Transformation voranzutreiben. Cradle to Cradle – das bedeutet auch, Dinge neu zu denken. Warum sollte man, wie einige aus der Umweltbewegung fordern, das Fliegen verbieten? Fliegen sei insbesondere in Zeiten, in denen die Kinder, wie bei Fücks der Fall, über die Welt verstreut leben, ein wichtiges Kulturgut. Wir brauchten daher kein Verbot, keine Reduktion. Sondern ein neues Verständnis von Fortschritt. Einen Fortschritt, der Fliegen neu erfinde und umweltverträglich gestalte. Denn anders als viele in der Umweltbewegung predigen, lösen Verbote und Verzicht der Cradle to Cradle Denkschule zufolge nicht die Ursache der Probleme, sondern bekämpfen lediglich deren Symptome.

Für uns als NGO gehört zu den von Fücks beschriebenen neuen ökonomischen Ansätzen auch, dass wir neue Preismodelle benötigen, die die ökologische Transformation ermöglichen. Kritiker bemängeln oft, dass umweltverträgliche Produkte zu teuer seien. Dem liegt für uns jedoch ein falsches Verständnis zu Grunde. Wie Nora im Gespräch erklärte, spiegeln die Preise für Güter in unserem aktuellen Wirtschaftssystem die Schadschöpfung nicht wider. Würden die Kosten des Schadens, den ein Produkt an der Umwelt verursacht, mit einkalkuliert und müssten die Unternehmen für diese Schäden an Mensch und Umwelt zahlen, hätten sie kein ökonomisches Interesse mehr daran, so wie derzeit weiter zu produzieren, so Nora. Trotzdem sollte man „nicht unterschätzen, inwieweit die ökologische Transformation in einer Industriegesellschaft mit sehr hohen Investitionen verbunden“ ist, mahnte Fücks. Aber auch wegen dieser benötigten Investitionen seien Umweltbewegungen wie Degrowth keine Lösung, da dadurch Investitionen zurück gingen.

Die aktuelle Situation rund um Corona findet der Grünen-Politiker gefährlich für die Finanzierung der ökologischen Transformation. Zwar könne man die benötigten Konjunkturprogramme für eben diese Transformation nutzen. Allerdings sei eine gewaltige Steigerung der Staatsverschuldung durch die Coronakrise zu erwarten – und Verluste bei den Unternehmen. Gleichzeitig litten die privaten Haushalte unter Kurzarbeit und die private Kaufkraft gehe zurück. Insgesamt würden so die benötigten Investitionen zurückgehalten oder blieben komplett aus. Man könnte sagen, wir „verschießen momentan unser gesamtes Pulver“, so Fücks. Die Frage, wie man die benötigten Mittel für unsere Umwelt aufbringt, erfordert für ihn eine Priorisierung der Investitionen. Viele Vertreter*innen der Umweltbewegung hatten gefordert, Unternehmen wie die Lufthansa bankrott gehen zu lassen. Dies sei jedoch nicht nur aus umwelttechnischen Gesichtspunkten zu bewerten, so Fücks, da dies viele Menschen den Job gekostet hätte.

Letztlich sei es auch keine Lösung, umweltschädliche Bereiche stillzulegen. Auch Cradle to Cradle will Wege finden, umweltschädliche Bereiche umweltverträglich zu gestalten.

Über Nationalismus, Müllverbrennungsanlagen und internationale Zusammenarbeit

Unser derzeitiges Produktions- und Wirtschaftssystem ist nicht zukunftsfähig, stimmten Nora und Fücks im Gespräch überein. Neben struktureller Probleme verlangten uns die Corona- und die Klimakrise auch politisch einiges ab. Nationalismus sei derzeit ein weltweit erstarkendes Problem. Autoritäre Regime priesen sich als handlungsfähiger als Demokratien in Krisenzeiten an. Dabei berge die Rückbesinnung auf das nationale nur weitere Schwierigkeiten, da unsere Krisen globaler Natur seien, so Fücks. Vielmehr sei eine Art Club-Governance von Nöten, ein Zusammenschluss von Vorreiterstaaten in Sachen Umweltpolitik für gemeinsame Entscheidungen. Man könne nicht warten bis alle 195 Staaten sich auf einen gemeinsamen Kurs geeinigt hätten. Auch müsse sich die Art der internationalen Zusammenarbeit ändern. Wenn die in Sachen Umweltpolitik weiterhin darin bestehe, Müllverbrennungsanlagen oder direkt den Müll zu exportieren, dann werde das strukturelle Problem nicht gelöst. Es gelte, echte Win-Win-Situationen zu schaffen, bei denen kein Land auf Kosten eines anderen profitiere. Ralf Fücks sieht die Europäische Union im Zuge dessen als Modellfall und positives Beispiel für globale Kooperation. Und wenn die Europäische Union scheitert, da ist sich Ralf Fücks sicher, dann schaffen wir es nie, eine internationale erfolgreiche Umweltpolitik zu gestalten.

Hält Corona uns in der Erreichung umweltpolitischer Ziele auf? Als Optimist ist Ralf Fücks überzeugt, dass unser Bewusstsein für die Krisenanfälligkeit des Systems steigt und somit auch die Bereitschaft, die ökologische Transformation anzugehen. Was wir ihm zufolge brauchen ist eine intelligentere Ökonomie, ein „nach vorne Denken“, das sich nicht im Klein-Klein des Nationalismus oder in Katastrophenabwehr der Zukunft verliert. Nicht zuletzt auch mit Cradle to Cradle.

Cradle to Cradle als Dach für Textilstandards

Cradle to Cradle als Dach für Textilstandards 2560 1920 C2C LAB

Henning Siedentopp hat sich schon als Abiturient mit Nebenjob in der Eisdiele dafür interessiert, wie sein Chef sein kleines Unternehmen führt. Heute ist Henning selbst Unternehmer und Geschäftsführer des Fashion-Labels Melawear. Mit Tim hat er sich am 23. April beim LAB Talk unter anderem über die Folgen der Corona-Pandemie für die Textilindustrie und die darin Beschäftigten unterhalten und erklärt, welche RolleCradletoCradle für sein Unternehmen spielt.  

Eines steht für Henning Siedentopp fest: “Die Corona-Krise ist die allergrößte Herausforderung, die wir bei Melawear bisher hatten.” 2014 hat der gebürtige Kasseler das Fashion-Label gegründet. Noch während er an seiner Masterarbeit zum Thema Textilien und Kreislaufwirtschaft saß. Von Unternehmertum fasziniert sei er da schon lange gewesen, erzählte er Tim beim LAB Talk. Aber erst durch das Masterstudium sei in ihm die Idee gereift, zum Gründer im Bereich nachhaltige Textilien zu werden.  

Derzeit werden überall weniger Klamotten gekauft. “Das ist in einer Krise nicht unbedingt das erste, was man braucht”, sagte Henning. Das könne er natürlich verstehen. Aber: Als wachsendes Unternehmen habe Melawear Ziele und einen Finanzplan. “Wir beliefern 300 Händler in Deutschland. Wenn da Umsätze ausbleiben, dann wirkt sich das direkt auf die Mitarbeiterplanung aus”, nennt er eine der Entwicklungen der vergangenen Wochen.  

Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten eine “Katastrophe” 

Doch für die Textindustrie gehen die Herausforderungen durch Corona weit darüber hinaus. Indien, eines der Hauptfertigungsländer der globalen Textilwirtschaft und das Land, aus dem alle Textilien von Melawear kommen, ist von der Krise stark betroffen. “Da sind Produktionsstätten geschlossen und ganze Chargen liegen auf Eis”, so Henning. Wann diese hier einträfen, sei unsicher. Und: für die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten in Indien sei die derzeitige Situation “eine Katastrophe”.  

Die Produktionsverhältnisse vor Ort zu verbessern, sei für ihn ein Antrieb gewesen, Melawear so aufzustellen, wie es letztlich geschehen sei, erzählte Henning. “Vom Baumwollanbau über die Verarbeitung bis zu Konfektionierung: Da sitzen tausende Menschen, die derzeit keine Arbeit haben und kein Geld verdienen können”, berichtete er Tim. Obwohl die Beschäftigten der Produktionsstätte für Melawear dank Fairtrade-Standard feste Arbeitsverträge hätten sei unsicher, wie lange die Gehälter bei ausbleibenden Umsätzen noch bezahlt werden könnten.  

Situationen wie diese stellen für C2C NGO immer wieder die Frage in den Vordergrund, wie lange wir unser derzeitiges Wirtschaftssystem noch aufrechterhalten können und wollen, ergänzte Tim an dieser Stelle. Cradle to Cradle bezieht auch Themen wie faire Löhne und Arbeitsbedingungen mit ein – diese würden derzeit noch stärker als ohnehin ausgehebelt. Und es sei zu befürchten, dass dies auch bezüglich ökologischer Standards in den Lieferketten wieder zunehme.  

Vor der Krise, so Henning, sei nachhaltige Mode in aller Munde gewesen. Auch bei konventionellen Produzent*innen und vor allem bei den Verbraucher*innen. In der Umsetzung allerdings haben es auch vor Corona bereits große Unterschiede gegeben. “Nur 1 Prozent der weltweit angebauten Baumwolle ist bio-zertifiziert. Und ein Drittel davon ist, zumindest in Indien, Fairtrade-zertifiziert. Es liegt also noch ein unglaublich langer Weg vor uns”, so Henning. Und das, obwohl die Herstellung von Knöpfen oder Garnen in dieser Betrachtung noch außen vorgelassen werde. “Es gibt extrem viele Marken am Markt, die mit Fairtrade und Bio werben – und kaum etwas steckt dahinter”, so Henning. 

Das falle auch ihm immer wieder auf, so Tim. Etwa, wenn Sohlen für Flipflops aus recycelten Kunststoffen, die dafür jedoch überhaupt nicht geeignet seien, hergestellt werden. Diese Kunststoffe beinhalteten schädliche Substanzen und seien so weder für den Kontakt mit menschlicher Haut geeignet noch dafür, dass ihr Abrieb als Feinstaub in der Natur lande. 

Mit Henning durch den Siegel-Dschungel 

Er habe sich früher sehr über diese Wettbewerber*innen aufgeregt, erzählte Henning. Heute konzentriere er sich lieber darauf, die Dinge selbst richtig zu machen und darüber möglichst viel zu sprechen und aufzuklären. Für Verbraucher*innen sei es oft gar nicht so einfach, Produkte zu erkennen, die bestimmte ökologische und soziale Standards einhalten, sagte Henning – und gab gleich noch eine kleine Einführung in die Siegelkunde. Für ihn sei dabei besonders wichtig, bei Naturfasern die gesamte Wertschöpfungskette zu betrachten. Und sich auch darüber Gedanken zu machen, was passiere, wenn ein Produkt nicht mehr getragen werde.  

Der Fairtrade-Standard decke quasi den Anbau ab. Im Falle von Melawear den Baumwollanbau in Indien. “Der Standard stellt sicher, dass unsere Baumwollbauern faire Prämien erhalten. Und weil es sich bei uns um Biobaumwolle handelt, sind die Prämien noch ein bisschen höher”, so Henning. Gleichzeitig stelle der nachverfolgbare Anbau nach Bio-Standard sicher, dass die Böden in der Anbauregion gesund blieben.  

Im zweiten Schritt stelle Melawear durch das GOTS-Siegel (Gobal Organic Textile Standard) sicher, dass die gesamte Lieferkette bio-zertifiziert werde. Also alle Materialien, vom Knopf über das Garn bis hin zu den Farbstoffen. “Der Mehrwert hier ist Schadstofffreiheit in allen Produkten”, so Henning. Bezüglich der Löhne in der Lieferkette arbeite Melawear mit Fairtrade an einem Standard, der binnen sechs Jahren dafür sorgen soll, dass auch alle Beschäftigten in der Konfektionierung von Mindestlöhnen auf existenzsichernde Löhne kommen.  

Cradle to Cradle kommt bei Melawear bereits beim Design von Produkten ins Spiel. “Wie können wir so designen, dass wir ein Produkt im Kreislauf halten können? – Das ist für uns von Anfang an immer eine Frage”, sagte Henning. Das entspricht auch der Definition von Cradle to Cradle. Der Ansatz geht daher über andere Konzepte, und damit auch über die inhaltlichen Vorgaben von Siegeln wie GOTS oder Fairtrade, hinaus. Vor allem bei Produkten, die in einer bestimmten Menge produziert würden, stelle sich für Melawear die Frage, wie man diese zurücknehmen und komplett wiederverwerten könne. “Cradle to Cradle ist für uns daher so eine Art Dachkonzept, unter dem sich alle weiteren Standards andocken”, so Henning.  

Machen und darüber reden 

Melawear ist ein Beispiel, dass sich Unternehmertum und Cradle to Cradle nicht ausschließen. Aber welchen Einfluss hat ein vergleichsweise kleines Label auf die milliardenschwere Textilindustrie? Diese Frage stellte sich auch das virtuelle Publikum, mit ganz konkretem Bezug auf das wahrscheinlich recht schmale Marketingbudget der Kasseler Firma. Wenngleich Melawear weniger Geld für klassisches Marketing ausgebe, so Henning, spare man nicht am Budget für Forschung & Entwicklung und spreche immer und überall über die eigene Strategie und die eigenen Ansprüche an die Qualität der Produkte. “Wir arbeiten von Anfang an nach unseren strengen Standards und machen dabei keinerlei Abstriche. Das überzeugt unsere Kunden – und es zeigt dem Rest der Industrie, dass es eben auch so geht”, so Henning.