Ralf Fücks ist nicht nur Politiker der Grünen, sondern auch Gründer des Zentrums Liberale Moderne. Früher als Aktivist und später als Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung war er zudem stets Teil der Umweltbewegung. In unserem LAB Talk vom 30. April hat sich Fücks mit Nora über die unterschiedlichen Konflikte innerhalb der Umweltbewegung unterhalten und erklärt, warum wir kein Verständnis mehr von Fortschritt haben.
Auch wenn sich Ralf Fücks seit seiner Jugend für Umwelt- und Klimaschutz engagiert: Mit der Richtung, in die die Debatten innerhalb dieser Bewegung teilweise laufen, ist er nicht immer einverstanden. „Wir haben keine Vorstellung von Fortschritt mehr“, sagte er beim LAB Talk mit Nora. In der Umweltdebatte werde größtenteils Katastrophenabwehr nach dem Motto „die Zukunft ist eine Bedrohung“ diskutiert. Es werde nicht mehr agiert, sondern lediglich reagiert, waren sich Nora und Fücks einig. Notwendig sei eine neue Ökonomie der intelligenten Koproduktion, um Synergieeffekte mit der Umwelt zu schaffen, so Fücks. All das bietet Cradle to Cradle aus unserer Sicht: Lösungen für unsere aktuellen Probleme, ohne dabei die individuelle Freiheit durch Verbote einzuschränken. Trotzdem wird im Gespräch von Ralf Fücks und Nora deutlich, dass dies nicht das einzige Problem der aktuellen Umweltbewegung ist.
Wie Generationenkonflikte den öffentlichen Diskurs bestimmen
So beschäftigt Ralf Fücks auch der öffentlich ausgerufene Generationenkonflikt zwischen der jungen und der älteren Generation á la Greta gegen die alten weißen Männer. Der bestimme sowohl den Diskurs in der Umweltbewegung als auch den in der Coronakrise mit. Fücks zufolge fordert die junge Generation mehr Achtsamkeit und Veränderungswillen von der älteren Generation im Rahmen der Klimadebatte, während die ältere Generation wiederum mehr Achtsamkeit von den Jungen im Rahmen der Coronakrise erwartet. Im Gespräch sagte er, dass er keine Sonderbehandlung in Zeiten von Corona wolle und in der Umweltdebatte auch den pauschalen „Ihr habt versagt!“-Vorwurf an die Älteren für Nonsens halte. Da sowohl die Coronakrise als auch die Klimakrise globale Probleme sind, führten diese egozentrischen Konflikte zu nichts, stimmten Nora und Fücks überein.
Ein anderer Konflikt innerhalb der Umweltbewegung sei die Positionierung zu Globalisierung und Digitalisierung. Während für viele die Globalisierung als Wurzel allen Übels gilt, sieht Fücks diese als zivilisatorischen Fortschritt. Zwar verbreite sich so ein Virus in einer globalisierten Welt viel schneller, jedoch ist die globale Vernetzung für den Grünen-Politiker auch ein Segen in vielen Dingen, etwa bei der Entwicklung von Medizin. Was uns allerdings die aktuelle Situation mehr als verdeutliche, so Fücks, sei, dass wir krisenfeste Systeme brauchen. Insofern dürfe die Frage nicht sein, wie man die Globalisierung rückgängig machen könne. Sondern wie sie krisenfest gestaltet werden könne. Dies könnte Fücks zufolge aber auch dazu führen, krisenrelevante Güter wieder regionaler zu produzieren, um in Krisensituationen nicht abhängig von anderen Ländern wie China zu sein.
Ist die Coronakrise ein Modellfall für die Klimapolitik?
Definitiv sei die Coronakrise kein Modellfall, da ist sich der Gründer des Zentrums für Liberale Moderne mit Blick auf eine in Teilen der Umweltbewegung zuletzt häufig geäußerte These sicher. Einerseits, da im Zuge des Infektionsschutzes die individuellen Freiheiten enorm eingeschränkt würden und Fücks überzeugt ist, dass jeder Mensch die Chance haben sollte, sein Leben frei zu gestalten. Andererseits, weil die Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus nur an der Oberfläche kratzten und nicht grundlegend die Systeme veränderten. Was jedoch ihm zufolge benötigt wird, ist ein struktureller Wandel, um eine ökologische Transformation voranzutreiben. Cradle to Cradle – das bedeutet auch, Dinge neu zu denken. Warum sollte man, wie einige aus der Umweltbewegung fordern, das Fliegen verbieten? Fliegen sei insbesondere in Zeiten, in denen die Kinder, wie bei Fücks der Fall, über die Welt verstreut leben, ein wichtiges Kulturgut. Wir brauchten daher kein Verbot, keine Reduktion. Sondern ein neues Verständnis von Fortschritt. Einen Fortschritt, der Fliegen neu erfinde und umweltverträglich gestalte. Denn anders als viele in der Umweltbewegung predigen, lösen Verbote und Verzicht der Cradle to Cradle Denkschule zufolge nicht die Ursache der Probleme, sondern bekämpfen lediglich deren Symptome.
Für uns als NGO gehört zu den von Fücks beschriebenen neuen ökonomischen Ansätzen auch, dass wir neue Preismodelle benötigen, die die ökologische Transformation ermöglichen. Kritiker bemängeln oft, dass umweltverträgliche Produkte zu teuer seien. Dem liegt für uns jedoch ein falsches Verständnis zu Grunde. Wie Nora im Gespräch erklärte, spiegeln die Preise für Güter in unserem aktuellen Wirtschaftssystem die Schadschöpfung nicht wider. Würden die Kosten des Schadens, den ein Produkt an der Umwelt verursacht, mit einkalkuliert und müssten die Unternehmen für diese Schäden an Mensch und Umwelt zahlen, hätten sie kein ökonomisches Interesse mehr daran, so wie derzeit weiter zu produzieren, so Nora. Trotzdem sollte man „nicht unterschätzen, inwieweit die ökologische Transformation in einer Industriegesellschaft mit sehr hohen Investitionen verbunden“ ist, mahnte Fücks. Aber auch wegen dieser benötigten Investitionen seien Umweltbewegungen wie Degrowth keine Lösung, da dadurch Investitionen zurück gingen.
Die aktuelle Situation rund um Corona findet der Grünen-Politiker gefährlich für die Finanzierung der ökologischen Transformation. Zwar könne man die benötigten Konjunkturprogramme für eben diese Transformation nutzen. Allerdings sei eine gewaltige Steigerung der Staatsverschuldung durch die Coronakrise zu erwarten – und Verluste bei den Unternehmen. Gleichzeitig litten die privaten Haushalte unter Kurzarbeit und die private Kaufkraft gehe zurück. Insgesamt würden so die benötigten Investitionen zurückgehalten oder blieben komplett aus. Man könnte sagen, wir „verschießen momentan unser gesamtes Pulver“, so Fücks. Die Frage, wie man die benötigten Mittel für unsere Umwelt aufbringt, erfordert für ihn eine Priorisierung der Investitionen. Viele Vertreter*innen der Umweltbewegung hatten gefordert, Unternehmen wie die Lufthansa bankrott gehen zu lassen. Dies sei jedoch nicht nur aus umwelttechnischen Gesichtspunkten zu bewerten, so Fücks, da dies viele Menschen den Job gekostet hätte.
Letztlich sei es auch keine Lösung, umweltschädliche Bereiche stillzulegen. Auch Cradle to Cradle will Wege finden, umweltschädliche Bereiche umweltverträglich zu gestalten.
Über Nationalismus, Müllverbrennungsanlagen und internationale Zusammenarbeit
Unser derzeitiges Produktions- und Wirtschaftssystem ist nicht zukunftsfähig, stimmten Nora und Fücks im Gespräch überein. Neben struktureller Probleme verlangten uns die Corona- und die Klimakrise auch politisch einiges ab. Nationalismus sei derzeit ein weltweit erstarkendes Problem. Autoritäre Regime priesen sich als handlungsfähiger als Demokratien in Krisenzeiten an. Dabei berge die Rückbesinnung auf das nationale nur weitere Schwierigkeiten, da unsere Krisen globaler Natur seien, so Fücks. Vielmehr sei eine Art Club-Governance von Nöten, ein Zusammenschluss von Vorreiterstaaten in Sachen Umweltpolitik für gemeinsame Entscheidungen. Man könne nicht warten bis alle 195 Staaten sich auf einen gemeinsamen Kurs geeinigt hätten. Auch müsse sich die Art der internationalen Zusammenarbeit ändern. Wenn die in Sachen Umweltpolitik weiterhin darin bestehe, Müllverbrennungsanlagen oder direkt den Müll zu exportieren, dann werde das strukturelle Problem nicht gelöst. Es gelte, echte Win-Win-Situationen zu schaffen, bei denen kein Land auf Kosten eines anderen profitiere. Ralf Fücks sieht die Europäische Union im Zuge dessen als Modellfall und positives Beispiel für globale Kooperation. Und wenn die Europäische Union scheitert, da ist sich Ralf Fücks sicher, dann schaffen wir es nie, eine internationale erfolgreiche Umweltpolitik zu gestalten.
Hält Corona uns in der Erreichung umweltpolitischer Ziele auf? Als Optimist ist Ralf Fücks überzeugt, dass unser Bewusstsein für die Krisenanfälligkeit des Systems steigt und somit auch die Bereitschaft, die ökologische Transformation anzugehen. Was wir ihm zufolge brauchen ist eine intelligentere Ökonomie, ein „nach vorne Denken“, das sich nicht im Klein-Klein des Nationalismus oder in Katastrophenabwehr der Zukunft verliert. Nicht zuletzt auch mit Cradle to Cradle.