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Mit Zuversicht politische Veränderungen anstoßen

Mit Zuversicht politische Veränderungen anstoßen 1280 960 C2C LAB

Bei unserem 21. LAB Talk am 4. Juni hatten wir die Vorständin der Heinrich-Böll-Stiftung, Ellen Ueberschär, bei uns zu Gast. Die Stiftung leistet politische Bildungsarbeit und ist als Grünen-nahe Stiftung eng dran am politischen Geschehen. Deshalb ging es im Gespräch zwischen Ellen Ueberschär und Nora auch darum, wie wir politische Veränderungen erreichen und Cradle to Cradle auf politischer Ebene voranbringen können. Eine der entscheidenden Fragen dabei ist, wie wir eigentlich in Zukunft leben wollen und mit welchen Lösungen wir das erreichen können.

Für die Gestaltung unserer Zukunft brauchen wir positive Ziele, waren sich Nora und Ellen Ueberschär einig. Ueberschär betonte, dass viele Menschen derzeit verunsichert seien, da das Zeitalter der Moderne zu Ende gehe. Doch für eine positive und lebenswerte Zukunft bräuchten wir auch positive Visionen. „Die Erzählung, dass das Leben gut werden kann, müssen wir wieder klarer machen. Wir müssen als Gesellschaft wieder lernen, das bestehende Paradigma zu hinterfragen”, so Ueberschär.

Die passenden Rahmenbedingungen

Aber was brauchen wir eigentlich dafür, um eine lebenswerte Zukunft zu gestalten? Nora und Ellen Ueberschär waren sich einig, dass es bisher noch an den passenden Rahmenbedingungen mangelt. Auf europäischer Ebene sind wir mit dem European Green Deal schon weiter als auf Bundesebene, stellte Ueberschär fest. Doch die nationale Umsetzung sei schwierig. „Europäische Regelungen scheitern oft an der Umsetzung durch die nationale Gesetzgebung. Wir haben mit dem European Green Deal die einmalige Möglichkeit, als EU-Bürger*innen einzufordern, dass daraus kein European Greenwashing wird”, so die Einschätzung von Ueberschär. Trotzdem gebe es auch in Deutschland Fortschritte, wie das Lieferkettengesetz verdeutliche. Da sei zwar noch Luft nach oben, doch, „dass wir überhaupt ein Lieferkettengesetz haben, wäre vor 10 Jahren undenkbar gewesen”, so Ueberschär. Solche gesetzlichen Rahmenbedingungen bilden die Grundlage dafür, dass wir innovative Geschäftsmodelle entwickeln können. Nora betonte, dass zirkuläre Geschäftsmodelle nach Cradle to Cradle einen enormen Konkurrenzvorteil bedeuten können. Auch Product as a Service-Modelle spielen dabei eine Rolle. Nora stellte dabei unter anderem die Frage in den Raum, warum Unternehmen beispielsweise Solarpanels verkaufen, anstatt den Service des Photoneneinfangs zu anzubieten? Denn für den Erhalt von Energie müssten diese nicht zwangsläufig  den Besitz wechseln. Ueberschär bedauerte, dass die jetzigen Gesetze zu sehr auf den Verkauf ausgelegt sind und solchen innovativen Geschäftsmodellen wenig Raum böten. 

Wir brauchen reale Preise

Innovative Geschäftsmodelle brauchen nicht nur gesetzliche Vorgaben, sondern auch ein faires Preisgefüge. Bisher bilden die Preise von Produkten aber noch nicht die Realität ab, wie Ueberschär sagte. „Warum haben wir diese Preise, die uns vorgaukeln, dass etwas günstiger wäre, aber am Ende trägt die Gemeinschaft die Kosten davon?” , kritisierte sie. Es sei ein großes Problem, dass die Schäden, die Produkte an Umwelt und Ressourcen hinterlassen, nicht eingepreist werden. Bisher setzen sich günstige Produkte auf dem Weltmarkt gegenüber nachhaltigen Produkten durch. „Wenn wir keine Preispolitik haben, die auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist, wird es schwierig” , so Ueberschär. Auch wenn dies ein globales Problem sei, sollte uns das nicht davon abhalten, auf nationaler Ebene Lösungen zu finden. So könne man auch eine Vorbildwirkung erreichen. Nora ergänzte, dass die Abschaffung schädlicher Subventionen schon einmal ein Anfang wäre, z. B. bei der Besteuerung von Kunststoffrezyklaten.

Mit digitalen Lösungen die Zukunft gestalten

Neben einer auf Nachhaltigkeit ausgelegten Preispolitik ist auch die Digitalisierung entscheidend für eine ökologische Transformation. „Wir werden unsere ökologischen Ziele nicht ohne Digitalisierung erreichen”, betonte Ueberschär. Digitalisierung könne uns dabei helfen, Daten und Informationen besser zu sammeln und zu speichern, beispielsweise im Bereich Energie. Dazu müssten wir digitale Produktpässe einführen, die angeben, welche Materialien für ein Produkt verwendet wurden, um diese so rückverfolgen zu können. So könnten ganze Lieferketten transparenter gestaltet werden. Auch für das Recycling sei es enorm wichtig, genau zu wissen, was in Produkten enthalten ist. Diese Daten müssten aber dem Gemeinwohl dienen und durch Open Source-Lösungen allen zur Verfügung gestellt werden, sagte die Stiftungsvorständin. Nora ergänzte, dass digitale Produktpässe auch dabei helfen können, Produkte oder Gebäude als Materiallager zu nutzen, in denen Rohstoffe für eine bestimmte Nutzungszeit verbaut, und nach der Nutzung weiterverwendet werden können.

Ausblick auf die Bundestagswahl

Die anstehende Bundestagswahl im September 2021 war bei Nora und Ellen Ueberschär im LAB Talk natürlich ebenfalls Thema. „Das Klima- und Umweltthema wird ganz klar den Wahlkampf entscheiden”, so Ueberschärs Prognose. Doch diese Themen sollten nicht nur den Grünen überlassen werden, man brauche stattdessen parteiübergreifende Diskussionen. „Wir brauchen einen Wettbewerb von Ideen. Wer eine Idee hat, wie wir schneller eine Kreislaufwirtschaft etablieren können: Go for it!“, zeigte sich Ueberschär offen. Dabei könne auch die Zivilgesellschaft einen Beitrag leisten, indem sie auf Probleme und (C2C-)Lösungen aufmerksam mache und die politischen Vertreter*innen unter Druck setze. Auch die Heinrich-Böll-Stiftung möchte mit ihrer politischen Bildungsarbeit Menschen erreichen und Veränderungsprozesse anstoßen. Ueberschär betonte außerdem, dass wir jetzt Investitionen in die Zukunft benötigen. Die durch die Corona-Pandemie belasteten öffentlichen Kassen dürften keine Ausrede sein,  um eine nachhaltige Transformation zu erreichen. Dabei sei es wichtig, die breite Bevölkerung mitzunehmen und soziale Aspekte nicht zu vernachlässigen. Bei der ökologischen Transformation könne auch die Kirche eine Rolle spielen, erläuterte Ueberschär, die Theologie studiert hat und seit 2004 ordinierte Pfarrerin ist. Es gäbe große Parallelen zwischen der Umweltbewegung und dem Gedanken der Schöpfungsbewahrung. Daraus könne man Kraft und Energie ziehen, auch bei Misserfolgen durchzuhalten. Ellen Ueberschär sieht positiv in unsere Zukunft: „Meine Grundüberzeugung ist: Wenn wir nicht die Zuversicht haben – dann können wir alles hinschmeißen.”

Positiver Fußabdruck in der Wüste Ägyptens

Positiver Fußabdruck in der Wüste Ägyptens 1280 960 C2C LAB

Am 20. April war der Unternehmer und Geschäftsführer der ägyptischen Sekem-Initiative, Helmy Abouleish, zu Gast im LAB Talk. Das Beiratsmitglied von C2C NGO setzt sich seit Jahren für eine organische und nachhaltige Landwirtschaft ein. Sekem ist jedoch nicht nur Landwirtschaftsbetrieb – in dem  Projekt spielen auch Bildung, Forschung und Gemeinschaft eine große Rolle. Im Gespräch mit Tim erklärte Helmy, wie Sekem zur Transformation zu einer nachhaltigen und zirkulären Wirtschaftsweise beiträgt.

Wenn Helmy Abouleish von Sekem erzählt, bezeichnet er das Projekt gerne als Wunder. Und die Geschichte der Initiative klingt durchaus unwahrscheinlich: Vor über 40 Jahren von seinem Vater Ibrahim Abouleish in der ägyptischen Wüste, knapp 60 Kilometer nordöstlich von Kairo ins Leben gerufen, betreibt die Initiative biologischen Landbau und arbeitet kontinuierlich an der Urbarmachung der unfruchtbaren und unwirtlichen Umgebung.

Damals sei Ägypten ein Land gewesen, das mit zahlreichen Problemen zu kämpfen hatte, sagte Helmy im LAB Talk. Das Land sei autoritär regiert worden und habe kaum Chancen auf politische Mitbestimmung geboten. Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung stark. Die Umwelt Ägyptens litt besonders unter dem enormen Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger in der konventionellen Landwirtschaft, erzählte Helmy.

Diesen Zuständen wollte Ibrahim Abouleish mit Sekem ein Modell für nachhaltige Entwicklung in den vier Dimensionen Wirtschaft, Bildung, Kultur und Gemeinschaft entgegensetzen. 1977 startete das Projekt auf anfangs 70 Hektar Fläche. Seitdem ist viel passiert: Sekem wächst Helmy zufolge jährlich um rund 20-30%, ist inzwischen einer der größten landwirtschaftlichen Betriebe auf dem afrikanischen Kontinent und betreibt seit 2012 sogar eine eigene Hochschule.

Zum Umdenken inspirieren

Helmy sieht die Welt heute vor großen Problemen. Das System, mit dem wir 200 Jahre lang erfolgreich waren, könne diese Herausforderungen nicht lösen. Deshalb brauche es ein grundlegendes Umdenken in Richtung Zirkularität. Sekem zeige, wie eine wirklich nachhaltige und zukunftsweisende Wirtschaftsweise aussehen kann.

Mit seinem Ansatz verfolge Sekem die gleiche Fragestellung wie Cradle to Cradle, sagte Helmy: „Wie kann man die Gemeinschaft inspirieren, ein Umdenken zu nachhaltigen Modellen zu finden?“ Die Verantwortung für dieses Umdenken, diese Transformation, ließe sich nicht allein auf Konsument*innen, die Politik oder Produzent*innen legen, befand er. Jede Stufe in der Wertschöpfungskette könne einen wichtigen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit leisten, so Helmy. „Jede*r, der sich diese Frage stellt, macht den Wandel möglich.“

Kreisläufe und ein positives Menschenbild

Landwirtschaft ist ein zentraler Bestandteil und das wirtschaftliche Rückgrat Sekems – und trotzdem will die Initiative viel mehr als das. In dem Projekt ging es von Anfang an um einen ganzheitlichen Ansatz, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt und Lösungen für ein Wirtschaften sucht, das im Einklang mit ökologischen und ethischen Prinzipien steht. Zentral ist dabei das positive Menschenbild, das die Initiative mit dem Cradle to Cradle-Ansatz teilt. Ebenso wie C2C will Sekem zeigen, wie der Mensch einen positiven Impact auf Umwelt und Gemeinschaft haben und das Wissen darum verbreiten kann.

Mehr als Landwirtschaft: Bildung und Gemeinschaft

Den ganzheitlichen Ansatz Sekems verdeutlichte Helmy mit einer Anekdote: Die erste Investition seines Vaters Ibrahim Abouleishs nach der Gründung von Sekem war ein Traktor, gleich darauf folgte ein Klavier. Denn die Kultur leiste eine wichtige Funktion: Sie befähige die Menschen, ihre Arbeit mit Erfolg zu betreiben, sagte Helmy. Bei Sekem gehe es nicht nur um die Arbeit selbst, sondern auch darum, sie mit einem Sinn zu verbinden.

Ebenso wie Kultur und Gemeinschaft sei auch die Bildungsarbeit integraler Teil Sekems, erklärte Helmy. Die Initiative betreibt Schulen, Kindergärten und seit einigen Jahren auch eine Hochschule: die Heliopolis Universität für nachhaltige Entwicklung. Die 3.000 Studierenden würden zu Botschafter*innen, um eine Sekem-Botschaft in die Welt zu tragen: Auch ein*e einfache*r Unternehmer*in kann die Welt mitgestalten und verbessern.

Bodenaufbau und ein positiver Fußabdruck

Doch wie gelingt Sekem die Urbarmachung des ägyptischen Wüstenbodens? Beim Bodenaufbau gehe es darum, aus totem Wüstensand lebendige Böden zu machen, sagte Helmy. Dabei spielen neben Wasser, auch Geräte, Tiere, Menschen, sinnvolle Fruchtfolgen und vor allem Kompost eine wichtige Rolle. Denn Kompost sei das wirkliche schwarze Gold in der Wüste, erklärte er. Damit steht die Landwirtschaft bei Sekem ganz im Sinne von Cradle to Cradle: Natürliche Prozesse werden genutzt, indem Produktionsabfälle als Kompost direkt wieder in den Kreislauf gelangen und so zu Nährstoff für den Boden und die nächste Ernte werden. So zeigt Sekem, wie eine klima- und umweltpositive Wirtschaftsweise funktionieren kann: „In Sekem sind wir froh und stolz, dass wir seit 43 Jahren einen sehr positiven Fußabdruck hinterlassen. Wir haben nicht nur unseren CO2 Ausstoß verringert, sondern wir können belegen, dass wir Millionen Tonnen an Kohlenstoff fixiert haben: In Bäumen, Böden, Prozessen oder erneuerbaren Energien“, sagte Helmy.

Wirkliche Kosten und Konkurrenzfähigkeit

„An der Oberfläche sieht es immer noch so aus, als ob eine nachhaltige Landwirtschaft teurer ist“, stellte Helmy im Gespräch mit Tim fest. Dass biologisch produzierte Nahrungsmittel und Produkte mehr kosten als konventionell angebaute, sei aber ein weit verbreiteter Trugschluss. Denn im Gegensatz zu organischer Produktion würden die Endpreise von Erzeugnissen aus der konventionellen Landwirtschaft die externalisierten Kosten nicht abbilden. Wenn alle ökologischen und sozialen Folgekosten der konventionellen Landwirtschaft nach dem „Full Cost Accounting“-Prinzip eingerechnet würden, sei der organische Anbau gerade auf lange Sicht volkswirtschaftlich wesentlich günstiger, so Helmy.   Die Heliopolis Universität habe dazu Studien erstellt. Die Ergebnisse zu verbreiten sei nun ebenso wichtig wie internationale Studien folgen zu lassen. Nur so könne es gelingen, einen umfassenden Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft durchzusetzen.

Aktuell gebe es noch zu viele wirtschaftliche Interessen, die ein anderes Denken pflegen und auf kurzfristige Gewinnmaximierung fokussiert seien. Deshalb versuche Sekem, auch in der Politik das Bewusstsein für die Folgekosten des heutigen Wirtschaftens zu wecken. Verursacher*innen von Umweltschäden und Emissionen müssten stärker in die Pflicht genommen werden, so Helmy.

Gleichzeitig arbeite Sekem daran, die biodynamische Landwirtschaft  effizienter zu machen. „Langfristig wird man es sich nicht weiterhin leisten können, das falsche Handeln zu subventionieren“, sagte Helmy. Für Sekem sei es zum Beispiel schon jetzt billiger, erneuerbare Energie selbst zu produzieren, als den Strom regulär zu beziehen. Auch dass biologischer Dünger durch Kompostierung günstig selbst hergestellt werden kann, helfe Sekem, im Vergleich zu konventioneller Produktion konkurrenzfähig zu sein. So werden schon jetzt die organischen Produkte Sekems kontinuierlich günstiger und können Verbraucher*innen aller Einkommensschichten erreichen.

Eine nachhaltige Transformation ist möglich

Sekem macht vor, dass der Umstieg auf eine nachhaltige und zirkuläre Wirtschaftsweise möglich ist und sich lohnt. Ganz im Sinne von Cradle to Cradle hat das Projekt rundum positive Effekte auf Mensch und Umwelt. Es beweist, dass Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit sich keinesfalls widersprechen, sondern sich auf lange Sicht gegenseitig bedingen. Die Menschen in Sekem bauen nicht nur aktiv Boden auf und binden Kohlenstoff, sie tragen auch zur Biodiversität bei und geben mittels Bildung und Gemeinschaft die Idee von einer wirklich nachhaltigen Wirtschaft im Einklang mit der Natur weiter.

Cradle to Cradle zeigt, wie sich diese Prinzipien auch in anderen Bereichen der Wirtschaft anwenden lassen und der Mensch einen positiven Impact haben kann. „Wir müssen daran glauben, dass es keine Missions Impossible gibt“, stellte Helmy im LAB Talk abschließend fest.

Digitale Winter-Akademie 2021: So vielfältig wie noch nie

Digitale Winter-Akademie 2021: So vielfältig wie noch nie 2560 1707 C2C LAB

Einen Vorteil hat es ja, dass wir unsere Veranstaltungen für die Ehrenamtlichen derzeit nur digital abhalten können, auch wenn uns der persönliche Kontakt mit unseren Aktiven fehlt: Wir können unsere Bildungsarbeit noch viel stärker in die Breite tragen. Das hat sich auch bei der Winter-Akademie 2021 gezeigt, die wir auch für Externe geöffnet haben und mit 450 Angemeldeten einen Rekord verzeichnen konnten. DIe Teilnehmenden waren eine bunte Mischung aus alten Hasen und C2C-Neulingen, die erste Einblicke in die C2C-Welt erlangen konnte. Von Politik bis Textil, von der Diskussionsrunde bis zum Filmabend war im Programm alles dabei.

Nach der letzten Akademie hatten wir unsere Hausaufgaben gemacht, die Teilnehmenden um Feedback gebeten und so ein vielfältiges Programm zusammengestellt, das sich sowohl durch inhaltliche Breite als auch durch verschiedene Veranstaltungsformate ausgezeichnet hat. Und natürlich wollten wir unseren Aktiven trotz des digitalen Formats auch Raum für Vernetzung und Austausch geben. So stand jeden Abend nach dem letzten Programmpunkt allen Teilnehmenden noch ein Zoom-Raum zum Quatschen und virtuellen Feierabendbier trinken zur Verfügung, der auch viel und gerne genutzt wurde.

Den Auftakt machten wir am Montag mit einem politischen Abend. Nach einer Begrüßung durch Nora und Tim und unser Ehrenamtsmanagement-Team Gentry und Marie starteten wir mit einem politischen Grußwort vom parlamentarischen Staatssekretär des Bundesumweltministeriums Florian Pronold. Er betonte, wie wichtig die Fortschritte sind, die wir im Bereich Kreislaufwirtschaft schon erreicht haben. Um das Thema weiter voran zu bringen, brauche es Organisationen wie C2C NGO: “Initiativen wie die Cradle to Cradle NGO bringen uns voran. Diesen Druck braucht es, damit wir schnell vorankommen mit einer Kreislaufwirtschaft, die diesen Namen auch verdient.”

Im Anschluss ging es direkt weiter einer parteiübergreifenden Podiumsdiskussion. Dr. Bettina Hoffmann (Sprecherin für Umweltpolitik Bündnis 90/Die Grünen), Ralph Lenkert (umweltpolitischer Sprecher Die Linke) und Hagen Reinhold (Mitglied im Ausschuss für Bau & Stadtentwicklung FDP) diskutierten lebhaft darüber, welche politischen Hebel es für eine Wirtschaftstransformation nach Cradle to Cradle gibt und welche Hindernisse einer Umsetzung möglicherweise im Weg stehen könnten. Einen wichtigen Ansatzpunkt sahen die Politikerinnen im Produktdesign. Lenkert und Hoffmann betonten beide, dass Produkte so designt werden müssen, dass sie modular, langlebig und reparierbar sind. Nora ergänzte als Moderatorin, dass Langlebigkeit aus Cradle to Cradle Sicht gar nicht immer wünschenswert sei, da zum Beispiel langlebige Chemikalien im falschen Nutzungsszenario auch lange schädlich für Mensch und Umwelt sein können. Zur Frage, in welchem Maße wir Regulierungen von politischer Seite brauchen, um Cradle to Cradle umzusetzen, gab es unterschiedliche Meinungen. Reinhold zeigte sich kritisch und schlug statt Regulierung Innovationen und technische Lösungen vor. Wachstum, Nachhaltigkeit und freie Wirtschaft schlössen sich nicht aus, so Reinhold. Hoffmann stellte den CO2-Preis als gutes Lenkungsmittel dar und betonte, wie wichtig politische Rahmenbedingungen auch für die Planungssicherheit von Herstellenden sind. Einigkeit herrschte beim Thema Subventionen. Umweltschädlich Subventionen müssten abgeschafft werden. Als Bundestagsabgeordnete sind die drei Politikerinnen in einer Position, dies auch wirklich umzusetzen und wir als NGO hoffen, dass es dazu bald kommt. Dieser politische Abend bildete einen spannenden und informativen Auftakt unserer Winter-Akademie.

Projekte aus dem Ehrenamt und C2C in der Wissenschaft

Welche spannenden Projekte kommen eigentlich aus dem C2C-Ehrenamt? Diese Frage beantworteten wir während unserer Aktivenbühne. Ian (C2C Trainer und Sprecher AK Seminare) führte uns durch diese Session, in der wir uns über zwei Inputs aus dem Ehrenamt freuen durften. Den Beginn machte Steffen, der sein Start-up Runamics vorstellte. Er selbst stand bis vor kurzem vor dem Problem, dass er beim Laufen eigentlich komplett in Plastik gekleidet war, da es noch keine Laufbekleidung gab, die nachhaltig und kreislauffähig ist. Also gründete er kurzerhand sein eigenes Unternehmen, mit dem er nun Cradle to Cradle-Sportbekleidung herstellt. Er teilte hilfreiche Tipps und Tricks für die Gründung eines C2C-Start-ups, von denen es hoffentlich in Zukunft viel mehr geben wird. Im zweiten Input der Aktivenbühne ging es um Städte und Kommunen. Philipp (Sprecher Regionalgruppe Tübingen) und Lorena (Referentin Städte und Kommunen bei C2C NGO) gaben Einblicke in ihre Arbeit und teilten Ratschläge, wie man Cradle to Cradle am besten in die eigene Kommune bringt, und wen man dafür wie ansprechen muss. Wir hoffen natürlich, dass alle Teilnehmenden dieser Session die Tipps direkt in die Praxis umsetzen werden.

Der nächste Programmpunkt stand ganz im Zeichen der Wissenschaft und Forschung. Dazu hatten wir drei Professoren eingeladen, die sich wissenschaftlich mit dem Thema Cradle to Cradle beschäftigen: Prof. Dr. Erik Hansen von der Johannes Kepler Universität Linz, Prof. Dr. Cornelius Herstatt von der TU Hamburg und Prof. Dr. Dodo zu Knyphausen-Aufseß von der TU Berlin. Sie sprachen mit Nora vor allem darüber, wie weit Cradle to Cradle als Qualitäts- und Innovationskonzept schon in der wissenschaftlichen Debatte angekommen ist. Prof. zu Knyphausen-Aufseß gab zu Bedenken, dass die  Wissenschaft traditionell linear und in klaren Argumentationsketten denkt. Um zirkuläre Systeme und Cradle to Cradle zu erforschen, sei auch in der Wissenschaft ein Umdenken notwendig. Auch in der Lehre sahen die drei Professoren noch Potenzial. In einigen Studiengängen und Vorlesungen, wie beispielsweise im Innovationsmanagement, werde das Thema Cradle to Cradle aber bereits behandelt. Eine spannende Debatte, die den Zuschauenden Einblicke in die Welt der Wissenschaft lieferte.

Von zirkulärer Landwirtschaft bis zu gesunden Druckprodukten

Nach Politik und Wissenschaft stand am Mittwoch das Thema Landwirtschaft auf dem Programm. Christoph erklärte den Zuschauenden was eigentlich regenerative Landwirtschaft ist und welche Gemeinsamkeiten es zu Cradle to Cradle gibt. Von Andi bekamen wir einen Input zu zirkulärer Landwirtschaft und wie Biokohle dabei effektiv eingesetzt werden kann. Diese wird schon seit Jahrhunderten von der indigenen Bevölkerung Südamerikas zur Steigerung der Fruchtbarkeit von Böden genutzt und kann heutzutage außerdem zur Bindung von Kohlenstoff dienen. Diese Session zeigte den Teilnehmenden, wie wichtig eine nachhaltige Landwirtschaft u. a. für das richtige Kohlenstoffmanagement ist.

Weiter ging es mit einer kurzen internen Social Media-Fragerunde. Birgit und Gesche aus dem Kommunikationsteam der Geschäftsstelle beantworteten Fragen zur Social Media-Arbeit der Initiativen, um den Aktiven dabei zu helfen, Cradle to Cradle auch in den sozialen Medien bekannter zu machen.

Den letzten Programmpunkt am Mittwoch übernahm Katja Hansen, C2C Expertin und Beirätin unserer NGO. Sie berichtete von der Arbeit der Healthy Printing Initiative, die sich für Druckprodukte einsetzt, die gesund für Mensch und Umwelt sind. Katja berichtete von Praxisbeispielen, bei denen Unternehmen die Kriterien der Healthy Printing Initiative bereits umsetzen. So setzt der Brauereikonzern Carlsberg beispielsweise auf gesunde Druckfarben für seine Bierflaschenetiketten. Besonders spannend für alle Aktiven: Am Ende der Session wurde Katja auf den “Hotseat” gesetzt und die Zuschauenden konnten Fragen zu allen C2C-Themenbereichen loswerden. Als langjährige C2C-Expertin wusste Katja so einiges zu berichten, sodass wir die Teilnehmenden auch am Ende des dritten Akademietags mit vielen neuen Informationen in den Feierabend schicken konnten.

Teamdynamik im Ehrenamt und Cradle to Cradle in Bau & Architektur

Den vorletzten Akademietag leiteten wir mit einer internen Session zum Thema Teamdynamik und Empowerment im Ehrenamt ein. Unser Ehrenamtsmanager Gentry gab den Aktiven dabei viele hilfreiche Tipps für ihre Arbeit in den Initiativen an die Hand, zum Beispiel wie man durch kurze Check-ins zu Beginn von Meetings den Teamzusammenhalt steigern kann. Um auch die Vernetzung zwischen den Initiativen weiter zu fördern, stand als nächstes ein digitales Dinner Date an. Auch wenn ein gemeinsames Kochen corona-bedingt nicht möglich war, haben wir uns zumindest virtuell zusammengefunden, um gemeinsam zu essen, uns austauschen und neue Gesichter kennen zu lernen.

Weiter ging es mit einem C2C-Klassiker: Das Thema Bau und Architektur. Dazu hatten wir Jörg Finkbeiner, Geschäftsführer von Partner und Partner Architekten, eingeladen, der den Zuschauenden von vielen Praxisbeispielen aus dem C2C-Bau berichten konnte. Er stellte zum Beispiel das WoHo in Kreuzberg vor, mit dem das höchste Holzhochhaus der Welt entstehen soll. Und auch Verwaltungsgebäude können nach Cradle to Cradle gestaltet werden. “Die Frage, ob wir zirkulär bauen können, stellt sich uns gar nicht: Es ist alles möglich!”, äußerte sich Jörg optimistisch. Moderiert wurde die Session von Johannes, Sprecher des Bündnis Bau & Architektur. Für die vielen Bau-Expert*innen in unserem Netzwerk sind solche Sessions immer eine gute Möglichkeit, mit Profis wie Jörg ins Gespräch und in den Austausch zu gehen.

Filmabend und Diskussion zum Thema Textil

Für unseren letzten Akademietag hatten sich Gentry und Marie etwas Besonderes ausgedacht. Nachdem Jan den Aktiven erläuterte, wie sie agiles Projektmanagement als Tool in ihrer ehrenamtlichen Arbeit nutzen können, kamen die Teilnehmenden am Abend zu einer virtuellen Movie Night zusammen. Gemeinsam schauten wir Episoden von “The Conscience of Clothing”, einem Filmprojekt der Rosa-Luxemburg-Stiftung, das Einblicke in die Textilindustrie Kambodschas gewährt. Zur Einordnung hatten wir Nadja Dorschner, Leiterin des Projekts, dazugeschaltet, die uns mit Hintergrundinformationen zum Film und zum Thema Textil versorgte. Zu der anschließenden Podiumsdiskussion, moderiert von der Sprecherin des C2C Bündnis Textil Marlene, stießen Henning Siedentopp, CEO und Gründer von Melawear, sowie Lavinia Muth, Corporate Responsibility Managerin bei Armedangels, dazu. Gemeinsam mit Nadja diskutierten sie über das Lieferkettengesetz, faire Löhne in der textilen Wertschöpfungskette und die wahren Kosten von Produkten. Auch wenn sich die Diskussionsteilnehmenden einig waren, dass wir mehr Zirkularität in der Textilindustrie brauchen, gab es unterschiedliche Vorstellungen davon, wie wir das erreichen können. Lavinia zeigte sich eher kritisch gegenüber Siegeln wie dem Grünen Knopf oder gesetzlichen Regelungen wie dem Lieferkettengesetz, da diese oft lasch seien, die Umsetzung sehr lange brauche und die Kontrolle schwer zu gewährleisten sei. Henning sieht solche politischen Aktionen indes zumindest als einen ersten Schritt, um auf die Prozesse in der Textilindustrie Einfluss zu nehmen. Und auch um auf die ganzheitliche Weiterentwicklung solcher Siegel einwirken zu können. Ein weiterer wichtiger Schritt sei der Einsatz von Monomaterialien, wie zum Beispiel reine Bio-Baumwolle, der Recyclingprozesse erleichtern kann. Melawear und Armedangels sind in diesem Bereich schon auf einem guten Weg.

So kam unsere digitale Winter-Akademie zu ihrem Ende und wir freuen uns sehr darüber, dass das erste Feedback von Aktiven und externen Zuschauenden zur Akademie positiv ausgefallen ist. Nichtsdestotrotz freuen wir uns umso mehr darauf, bald wieder persönlich zusammenzukommen und uns mit der C2C-Community auszutauschen. Wir hoffen sehr, dass das zur nächsten Akademie im Sommer wieder möglich sein wird!

Energiewende und Ressourcenschutz zusammendenken

Energiewende und Ressourcenschutz zusammendenken 1280 960 C2C LAB

Am 18. Februar 2021 war die Ökonomin Prof. Dr. Claudia Kemfert zu Gast beim Cradle to Cradle LAB Talk. Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und lehrt als Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg. Die Co-Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung berät zudem verschiedene Forschungseinrichtungen und die EU-Kommission. Mit ihrem Buch „Mondays for Future“ griff sie Forderungen der „Fridays for Future“-Bewegung auf und entwickelte Vorschläge für deren Umsetzung. Im Talk mit Tim sprach Kemfert über Instrumente für den Umstieg auf eine nachhaltige Wirtschaftsweise, einen ganzheitlichen Blick auf die Klima- und Ressourcenkrise und die Chancen, die Cradle to Cradle-Ansätze dafür bieten.

„Das heutige Wirtschaften ist keineswegs nachhaltig. Wir produzieren und konsumieren zulasten der zukünftigen Generationen – wir bräuchten vier weitere Planeten in Reserve, wenn wir so weitermachen wie bisher.“ So lautete die Bestandsaufnahme von Claudia Kemfert beim LAB Talk. Dass die heutige Form des Wirtschaftens Nachhaltigkeitsbelange weitestgehend ausblendet, verursache enorme volkswirtschaftliche Kosten, die wir schon jetzt heimlich in Form von Umwelt-, Gesundheits- und Klimaschäden bezahlen. Während aktuell Gewinne privatisiert werden, muss für externe Umwelt- und Klimakosten die Gesellschaft aufkommen. Dem gelte es entgegenzusteuern, sagte Kemfert. Indem Wirtschafts-, Klima- und Umweltschäden eingepreist und den Verursachenden in Rechnung gestellt werden, könne es gelingen, Anreize für einen grundlegenden Paradigmenwechsel in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu schaffen. Momentan herrsche durch ein Narrativ, das Wirtschaftlichkeit an vorderste Stelle setzt, eine „Verschleierung der Kostenwahrheit“, die aufgedeckt werden müsse. Während Bilanzierungen von Finanzzahlen und Budgetierungen bereits selbstverständlich seien, müsse dies auch im Bereich der Nachhaltigkeit gelten. In den letzten Jahrzehnten sei diesbezüglich trotz internationaler Verpflichtungen zu wenig passiert, bemängelt die Ökonomin. Dank zivilgesellschaftlicher Bemühungen wie den prominenten „Fridays for Future“-Protesten ist heute eine zunehmende Sensibilisierung für Themen des Umwelt- und Klimaschutzes in der Gesellschaft entstanden – dieses gesellschaftliche Umdenken spiele eine wichtige Rolle in der Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft, sagte Kemfert weiter.

Auch wir glauben, dass „Fridays for Future“ die Diskussion um Umwelt- und Klimaschutz in die Mitte der Gesellschaft gebracht hat. Doch Forderungen nach Verzicht reichen uns nicht. Mit Cradle to Cradle stehen wir für ein Konzept, das den Nachhaltigkeitsgedanken weiterführt und konkrete Lösungen für eine wirklich zukunfts- und kreislauffähige Wirtschaftsform anbietet.

Klimafrage nicht isoliert sehen

Diesem Ansatz stimmte auch Kemfert zu. Man dürfe die Klimafrage nicht nur für sich betrachten, sondern müsse die Gesamtheit der Herausforderungen im Bereich Nachhaltigkeit betrachten, sagte sie. Einen wichtigen Leitfaden bilden für sie dabei die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN, die einen umfassenden Blick auf Nachhaltigkeit in den verschiedensten Sektoren richten. Effektiven Klimaschutz zu betreiben und „Kreislaufwirtschaft in allen Bereichen durch zu deklinieren“ bedinge sich laut Kemfert gegenseitig. Mit diesem Ansatz ließen sich Umwelt- und Klimaziele gleichzeitig lösen. Es biete keine Perspektive, zu behaupten, dass es zu viele Menschen auf der Erde gäbe und man dementsprechend sowieso nichts ändern könne. Stattdessen müsse eine grundlegende Transformation über den Kreislaufgedanken verfolgt werden. Tim zufolge lassen sich die Klima- und die Ressourcenfrage zusammenbringen, indem man den aktuellen Ausstoß an CO2 nicht nur unter dem Aspekt der möglichen Vermeidung, sondern auch als misslungenes Ressourcenmanagement betrachtet, dem wir begegnen müssen.

„Wir könnten schon immer im Energieüberfluss leben“

Um das Cradle to Cradle-Prinzip flächendeckend umzusetzen, muss das Energiethema langfristig gelöst werden. Denn wir brauchen Energie, um Rohstoffkreisläufe zu schließen. Dem schließt auch Kemfert sich an: „Wir könnten schon immer im Energieüberfluss leben, wenn wir die größte Energiequelle der Welt konsequent nutzen würden: die Sonne.“ Die Energie selbst sei in der Zukunft also nicht das zentrale Problem, sondern vor allem ihr richtiger Einsatz, ihre Umwandlung und Nutzbarmachung.

Energiewende kreislauffähig gestalten

Tim führte in diesem Zusammenhang an, dass der Gedanke der Kreislaufwirtschaft in der Diskussion rund um den Einsatz erneuerbarer Energien noch nicht genügend integriert wird. Der Ausbau regenerativer Energien sei wichtig, doch müssen die Anlagen auch kreislauffähig sein. Dass saubere Energie notwendig ist, habe sich inzwischen zwar gesellschaftlich durchgesetzt, doch noch zu selten werden Konzepte umgesetzt, die die Erzeugung erneuerbarer Energie mit der Rückführbarkeit der verbauten Ressourcen verbinden. Wenn Kreislauffähigkeit nicht von Anfang an eingeplant wird, entsteht so der Sondermüll von morgen. Etwa durch Teile von Windkraftanlagen aus Kohlenstoffverbundstoffen, bei denen ein sauberer Rückbau nicht möglich ist. Erst wenn Lösungen für die Klima- und Ressourcenkrise zusammengeführt und umgesetzt werden, wird der Umstieg auf erneuerbare Energien wirklich nachhaltig und zukunftsfähig, stimmten Kempfert und Tim überein.

Ganzheitliche Lösungen finden

Die Konzepte für diesen Wandel seien vorhanden, doch nun müsse man ins Handeln kommen, so Kemfert. Neben einer transparenten Bepreisung von externen Umwelt- und Klimakosten sieht sie verbindliche Regeln wie Recyclingquoten als wichtiges Mittel, um einheitliche Rahmenbedingungen für neue Lösungen und Ansätze einer Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Für eine zukunftsfähige Wirtschaftstransformation gebe es jedoch keinen einheitlichen Weg, der in allen Bereichen zum Erfolg führe. Vielmehr müssten sich die Förderung von Innovationen und die Anwendung von Instrumenten des Ordnungsrechts sinnvoll ergänzen. Auch der Green New Deal der EU habe die Kreislaufwirtschaft auf seiner Agenda – er müsse nun mit Leben gefüllt werden. Priorität habe es nun, in ganzheitlichen Lösungen zu denken und den Kreislaufgedanken, der auch politisch immer relevanter werde, in allen Bereichen umzusetzen: „Cradle to Cradle ist absolut der richtige Weg“, so Kemfert.

Umweltfreundliche Innovation aus dem Mittelstand

Umweltfreundliche Innovation aus dem Mittelstand 1036 580 C2C LAB

Am 17. November 2020 war der Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt,  Alexander Bonde, bei uns zu Gast im LAB Talk. Die DBU wird auch „the largest organisation you never heard of before” genannt, sagte Bonde halb im Scherz, obwohl sie die größte Umweltstiftung Europas ist. Mit jährlich 60 Millionen Euro fördert die Organisation Projekte aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in den Bereichen Umwelttechnik, Umweltforschung und Umweltbildung. Damit möchte die DBU dabei unterstützen, innovative Lösungen für Umweltprobleme zu finden. In unserem LAB Talk unterhielt sich Bonde mit Nora über die Bedeutung des deutschen Mittelstandes, die richtigen politischen Rahmenbedingungen für umweltfreundliche Innovation und darüber, warum sich die DBU manchmal wie Bob der Baumeister fühlt. 

Alexander Bonde hat sich schon in der Vergangenheit als Fan von Cradle to Cradle entpuppt. Unter anderem, als er uns vor gut einem Jahr in unserem C2C LAB in Berlin besucht hat. Mit dem Green Deal der EU, sagte er nun im Gespräch mit Nora, sei auf europäischer Ebene im Bereich Circular Economy schon viel passiert, allerdings müsse nun auf Bundesebene auch nachgelegt werden. „Technologisch haben wir in Deutschland unheimlich viel Potential, aber dass die Frage beim Design und bei der Produktplanung losgeht, die ist leider in anderen politischen Diskursen ausgeprägter”, so Bonde.

Fokus der DBU auf das Thema Circular Economy

Auch die DBU will in Zukunft einen Fokus auf Circular Economy legen. Bonde zufolge soll in den nächsten drei Jahren ein zweistelliger Millionenbetrag in den Bereich CE fließen. „Die Frage, wie bekommen wir eigentlich Ressourcen in Kreisläufe, ist eine der ganz zentralen Umweltfragen der nächsten Jahre, sowohl in der Frage Klimaschutz als auch weit darüber hinaus”, so der Generalsekretär. Er und Nora waren sich einig, dass wir ein anderes Verhältnis zum Umgang mit Ressourcen und Materialien brauchen. Bonde betonte, dass bereits bei der Planung eines Produkts darüber nachgedacht werden muss, wie die verwendeten Materialien am Ende im Kreis laufen können. Er stimmte Nora zu, dass die Klimakrise nicht die einzige große Herausforderung sei: Es gebe noch weitere, genauso drängende ökologische Fragen, wie zum Beispiel die Ressourcenfragen oder auch der Verlust von Biodiversität: „Man wird die Probleme nicht lösen, indem man sie von einem Krisenbereich in den anderen verschiebt, sondern wir müssen sie wirklich lösen.”

Welche Rolle spielt der Mittelstand bei der Lösung von Umweltfragen?

Neben der Circular Economy hat die DBU einen ganz besonderen Fokus auf mittelständische Unternehmen. Das erklärte Bonde damit, dass KMU (kleine und mittlere Unternehmen) oft als Impulsgeber funktionieren und neue Ideen in die Märkte bringen. Die DBU möchte diesen Unternehmen dabei helfen, innovative Ideen aus dem Bereich Umweltschutz voranzubringen. Nora bestätigte, dass sich auch in Sachen C2C häufig mittelständische Unternehmen engagieren und oftmals direkt die gesamte Produktion nach Cradle to Cradle umstellen. Bonde hob hervor, dass dieses innovative Denken des Mittelstandes auch durch Corona nicht gebremst worden sei, im Gegenteil: Die DBU verzeichnete im Jahr 2020 ein Hoch an gestellten Anträgen. „Die Coronakrise hat die Frage der Nachhaltigkeit in Geschäftsmodellen vielleicht medial überlagert, aber in der Wirtschaft ist die Debatte voll entbrannt”, so Bonde.

Digitalisierung und die richtigen politischen Rahmenbedingungen

Ein weiteres Thema, das in diesem LAB Talk diskutiert wurde, war Digitalisierung. Nora erklärte, dass Digitalisierung für die Umsetzung von Cradle to Cradle in der Praxis enorm wichtig sei, da so digitale Materialausweise erstellt werden können, die genau dokumentieren, welche Materialien in Produkten enthalten sind. Bonde hob ebenfalls die Vorteile durch Digitalisierung für Unternehmen hervor, ergänzte aber auch, dass die Digitalisierung einen nachhaltigen Rahmen brauche, damit sie nicht als Brandbeschleuniger für große Umweltprobleme wirke. Die Kreislaufführung von beispielsweise Halbleitern sei eine große Herausforderung und müsse mitgedacht werden. Dafür brauche es aber auch die richtigen politischen Rahmenbedingungen. An dieser Stelle betonte Nora, dass genau das auch Aufgabe unserer NGO sei: Politisch Druck auszuüben, damit sich genau solche Rahmenbedingungen verändern. Vorgaben aus der Politik, da waren sich beide einig, werden auch gebraucht, um reale Preise abzubilden, auch über einen realistischen Preis für CO2 hinaus. Bonde erläuterte, dass durch falsche Anreize verhindert würde, dass gute Produkte auf den Markt kommen: „Die Nicht-Bepreisung vom CO2-Ausstoß ist ein reales Markthindernis für moderne, innovative Produkte. Nora ergänzte, dass nicht nur Gewinne privatisiert werden sollen, sondern auch der Schaden, den ein Produkt zum Beispiel der Umwelt zufügt. Aus Sicht der DBU als Innovationsförderer, so Bonde, sei es eine große Hürde, dass es keine realen Preise gibt: „Wir sind überzeugt, dass wir einen Marktrahmen brauchen, der Innovationen nicht verhindert, sondern sie über die wahren Kosten anregt und so die guten Produkte in den Markt lässt.”

Umweltbildung als Bindeglied

Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen der DBU und unserer NGO ergab sich beim Thema Umweltbildung. Genau wie wir möchte auch die DBU das richtige „Mindset” nicht nur in die Politik, sondern auch in die Gesellschaft bringen. Bonde betonte die Bedeutung von Best Practice Beispielen, die zeigen was schon geht, aber auch Druck machen können, damit man sich nicht auf dem Erreichten ausruht. Zur Rolle der DBU in diesem Zusammenhang sagte er: „Wir fühlen uns wie der Bob der Baumeister der Umweltbewegung. Bei uns geht es immer darum, welche Werkzeuge wir schon haben und wie man damit etwas ganz Konkretes lösen kann.” Bonde und Nora betonten beide, dass man zwar schon viel erreicht habe, aber es auch noch viel zu tun gebe. Man müsse nun eine positive Perspektive aufzeigen.

Wie Berlin zur müllfreien Kreislauf-Stadt werden kann

Wie Berlin zur müllfreien Kreislauf-Stadt werden kann 1000 667 C2C LAB

Am 8. Dezember 2020 fand unser C2C Forum: Kreislauf-Stadt Berlin digital und interaktiv mit Vertreter*innen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in Berlin statt. Das Thema: Urbanes Ressourcen- und Innovationsmanagement und gesundes Stadtwachstum durch konsequente Kreislaufwirtschaft. Das Ziel: Zeigen, wie die Stadt von Morgen geht.

Nicht nur die Tatsache, dass sich rund 300 Menschen zu dem Event angemeldet hatten zeigt, dass der Inhalt brandaktuell ist. Denn Industriegesellschaften produzieren riesige Mengen an Müll. Um genau zu sein liegt das Müllaufkommen in Berlin bei jährlich 8 Millionen Tonnen. Pro Person sind das 430 Kilogramm Siedlungsabfall pro Jahr. Ganz klar viel zu viel. Dafür müssen Lösungen her, wie auch Annette Nawrath fand. Die Vorstandsvorsitzende der Stiftung Naturschutz Berlin leitete das Event mit einem Grußwort ein. Unbegrenztes Wachstum, so ihr Fazit, sei mit begrenzten Rohstoffen in der heutigen Form nicht möglich. „Industriegesellschaften brauchen neue und andere Konzepte für den Umgang mit unseren Ressourcen. Es ist an der Zeit nicht über das Ob, sondern über das Wie zu sprechen“ sagte Nawrath.

Cradle to Cradle als Lösungsansatz

Nora erläuterte in ihrem Impuls zu C2C Denkschule & Designkonzept, wie genau dieses Wie aussehen kann. Die Anreize seien groß, unsere momentane Lebensweise zu ändern und zu optimieren, so Nora. Wir lebten aktuell in einer Cradle to Grave-Welt, in der wir aus Materialien Produkte schaffen, die nach ihrer Nutzung zu Müll werden. Zukunftsfähig sei die Devise „take, make, waste“ mit Blick auf endliche Ressourcen jedoch nicht, so Nora. „Wir müssen von der Produktionseinbahnstraße zu geschlossenen Kreisläufen kommen. Wir sehen uns als Parasiten, die in ihrem Schaden reduziert werden müssen. Anstatt Schädlinge zu sein, können wir Nützlinge werden“, sagte sie weiter. Aber was bedeutet eine Kreislauf-Stadt genau für Berlin? Und was müssen wir tun, um diesen Zustand zu erreichen?

Wo stehen wir in der Abfallpyramide?

Antworten auf diese Frage diskutierten vier Vertreter*innen verschiedener Gesellschaftsbereiche, moderiert von Tim. Dr. Benjamin Bongardt, Referatsleiter Abfallwirtschaft in der Senatsverwaltung Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, war digital dazu geschaltet. Er erläuterte die Zero Waste-Strategie der Berliner Senatsverwaltung. Konkret sei bis 2030 geplant, den Hausmüll um 20 Prozent zu senken, die Klimagase um 250,000 Tonnen/Jahr und den Baustoffbedarf um 1,4 Millionen Tonnen/Jahr. Um Berlin zur Zero-Waste-Hauptstadt zu machen liege der Fokus vor allem auf Abfallvermeidung. Barbara Metz, stellvertretende Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe e.V., reihte sich als zweite Panelistin in die Forderung nach Abfallvermeidung ein. Sie verwies auf die fünfstellige Abfallhierarchie: Beseitigung, Verwertung, Recycling, Wiederverwendung und Vermeidung. Dabei nehme Beseitigung immer noch den größten Bereich ein, das müsse sich ändern.

Laut Andreas Thürmer, Leiter des Vorstandsbüros der Berliner Stadtreinigung, müsse es das Ziel sein, die Abfallhierarchie umzudrehen. Um mehr Abfall zu vermeiden, wiederzuverwenden und zu recyceln brauche es jedoch ein grundlegendes Umdenken von Wirtschaft und Bevölkerung. Konkret müsste die moderne Kreislaufwirtschaft ausgebaut, technologische Innovationen und die Einbeziehung der gesamten Wertschöpfungskette gefördert sowie ein regulatorischer und finanzieller Rahmen geschaffen werden. Dabei wollte Thürmer den Fokus keinesfalls nur auf Vermeidung legen und betonte, wie wichtig das Wiederverwenden und Recyceln sei. Die vierte Panelistin war Anne Lamp, CEO und Gründerin von traceless. Sie hat ein vollständig kompostierbares Material entwickelt, das erdölbasierte Kunststoffe ersetzen kann. Lamp betonte, dass Abfallvermeidung als Hauptfokus nicht die alleinige Lösung sei. 85 Prozent aller je produzierten Kunststoffe lägen heute noch auf Deponien oder schwämmen in den Ozeanen. Abfall, vor allem Plastik, zu vermeiden, führe nur zu einem langsameren Anstieg des Müllaufkommens in der Umwelt, nicht aber dazu, dass kein Müll mehr entstehe. Zudem seien Kunststoff an sich ein gutes Material, so Lamp. Sie seien formbar, flexibel und recycelbar und somit ideal für den technischen Kreislauf geeignet. Das Problem sei jedoch, dass die Kreisläufe, in denen Kunststoffe und andere Materialien zirkulieren könnten, nicht fertig durchdacht und somit nicht geschlossen seien. So gehen endliche Rohstoffe verloren und wir vermüllen die Umwelt, so Lamp. Genau dieses Problem gelte es zu lösen.

Lamp betonte aber auch, dass es möglich sei, diese Kreisläufe zu schließen. Ihr Kunststoffersatz zirkuliert im biologischen Kreislauf. Er ist aus Reststoffen der Agrarindustrie produziert und innerhalb von 2 Monaten komplett kompostierbar, Positiv sei auch, dass die Nachfrage der Unternehmen für Alternativen zu konventionellem Kunststoff stetig steige. Das liege einerseits am größeren Bewusstsein der Konsument*innen und andererseits an EU-Regulierungen wie der kommenden Plastiksteuer. Grundsätzlich sieht Lamp in der heutigen Herstellung von Kunststoffen vor allem ein Designproblem. Die meisten Produkte würden heute noch nicht von Anfang an so designed, dass sie wieder- und weiterverwendet werden könnten. So gingen wichtige Rohstoffe für immer verloren – und es entstehe Müll.

Kreislauffähiges Einweg- oder konventionelles Mehrwegplastik?

Das Ziel der Veranstaltung war auch, die Gesellschaft mit in die Diskussion einzubeziehen. Bei der Paneldiskussion hatten digitale Zuschauerinnen die Möglichkeit, ihre Fragen an das Panel zu stellen. Darunter die, was nun besser und effektiver sei: an Suffizienz, Vermeidung und Verzicht zu appellieren, oder Produkte und Prozesse von Grund auf neu zu strukturieren, um geschlossene Kreisläufe herzustellen? Metz betonte, der beste Abfall sei der, der erst gar nicht entstehe und plädierte für Mehrweglösungen. Auch heute noch sammelten wir in Berlin mehr Verpackungen in der Rest- als in der Verpackungstonne, so Thürmer. Nur auf die Konsumentinnen zu vertrauen, dass sie bewusst handeln und verzichten, sei aber nicht die Lösung. Es müssten Anreize und Gesetze für Unternehmen geschaffen werden, die sicherstellen, dass weniger Müll entstehe. Das könne durch Verbote von zum Beispiel Kunststoff geschehen oder durch Regelungen wie eine Plastiksteuer oder eine Recyclingquote. Bongardt wies darauf hin, dass diese Regelungen die Folge haben müssten, dass weniger Einwegplastik produziert werde. Es gäbe viele Konsument*innen, die nicht zwischen materialgesundem und konventionellem Einwegplastik unterscheiden könnten, so Metz. Eine Lösung sei es, durch verstärkte Nutzung von Mehrwegprodukten Abfälle von Anfang an zu vermeiden. So, warf Lamp ein, würde jedoch auf lange Sicht das Problem nicht gelöst werden. „Es ist egal, ob man mit 50 oder 30 km/h gegen die Wand fährt, wir müssen die Kurve kriegen“ sagte sie. Für jedes Problem gebe es individuelle Lösungen. Nicht überall seien Mehrweglösungen daher die ideale Lösung. Es sei wichtig, zwischen drei Wirkungsindikatoren zu unterscheiden. Erstens: Plastik in der Umwelt, zweitens: Toxizität der Materialien, die wir einsetzen, auch im Kontakt mit Menschen und unserem Essen, und drittens: Treibhausgasemissionen, die durch die Produktion entstehen. Es gebe nicht eine one-fits-all-Lösung für alle Probleme, stimmte Bongardt zu. Wichtig sei es, einzelne Probleme wie die drei gemeinsam zu betrachten und individuelle Alternativen anzubieten. Mehrwegprodukte, zum Beispiel, führten wahrscheinlich zu weniger Abfallaufkommen, seien aber in ihrer Toxizität und bei der Herstellung nicht ungefährlich für Mensch und Klima.

Warum wir neue Gesetze brauchen

Auch die bestehenden Regulierungen wurden an diesem Abend diskutiert. Thürmer sagte aus Sicht der Entsorger*innen bei der BSR, dass die gesetzlich vorgegebenen Recyclingquoten oft schlichtweg nicht umsetzbar seien. Denn die Materialien vieler Produkte könnten nicht sortenrein getrennt und somit recycelt werden. Gesetze müssten daher also immer in Kombination mit besseren Materialien und einem besseren Design der Produkte bei der Herstellung angewandt werden. Sonst bleibe die Recyclingquote ein Scheingesetz. Dies sei ein klassisches Henne-Ei-Problem, fasste Tim zusammen. Einerseits bräuchten wir Gesetze, um sicherzustellen, dass Materialien im Kreislauf bleiben, zum Beispiel durch eine Recyclingquote. Andererseits brauche es erst einmal Produkte, die aus recyclingfähigen Materialien bestehen. Dem stimmte auch Lamp zu. Was durch eine Quote ohne den Einsatz von kreislauffähigen Materialien geschehe, sei Downcycling, so Lamp. Wir müssten davon wegkommen, nur auf Quoten zu achten und hin zu Regeln, welche Materialien in der Herstellung überhaupt verwendet werden dürften, sagte sie weiter. Es passiere noch zu oft, dass angebliche Alternativen nicht komplett durchgespielt werden, stimmte Bongardt zu. Wichtig sei nun ein Zusammenspiel aus Vermeidung, Wiederverwendung, Recycling, Verwertung und langfristiger Beseitigung.

Berlin: Kreislauf-Hauptstadt von Morgen?

Die rege Diskussionsrunde konnte sich auf einige Punkte einigen. Mittelfristig ist die Vermeidung von Müll für Städte wie Berlin unabdingbar und mit der Zero Waste-Strategie ist der Rahmen dafür zumindest schon einmal verfasst. Langfristig müssen jedoch Lösungen gefunden werden, um Kreisläufe komplett zu schließen. Auch, aber nicht nur mit Blick auf Verpackungen. Nur so kann sichergestellt werden, dass Materialien und Rohstoffe unendlich zirkulieren und nicht mehr verschwendet werden. Das Ziel sei es, betonten alle vier Panelistinnen, die fünfstellige Abfallhierarchie umzudrehen. Cradle to Cradle zeigt schon heute, wie das geht. Durch geschlossene technische und biologische Kreisläufe wird Abfall zum Nährstoff für Produkte von Morgen. Das destruktive Konzept Müll gibt es in diesem Morgen nicht mehr. Denn Nutzungsszenarien werden durchdacht und spezifische Lösungen für Städte geschaffen. Um das zu erreichen, müssen wir als Gesellschaft zusammenarbeiten, Ideen und Technologien einbringen sowie Innovationen umsetzen. So können Berlinerinnen tatsächlich Bewohner*innen einer Kreislauf-Hauptstadt von Morgen werden.

„Degrowth ist global betrachtet eine reine Illusion“

„Degrowth ist global betrachtet eine reine Illusion“ 2048 1365 C2C LAB

Für unsere digitale Akademie 2020 konnten wir im September unter anderem Ralf Fücks als Gast gewinnen. Der langjährige Grüne und frühere Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung gründete 2017 das Zentrum Liberale Moderne – ein Thinktank, der sich der „Verteidigung der freiheitlichen Moderne“ verschrieben hat. Ralf beschäftigt sich intensiv mit der Frage „Wie passen Ökologie und Moderne zusammen?“ Wir unterhalten uns immer gerne mit ihm über diese Themen, weil wir glauben, dass die Cradle to Cradle Denkschule das Spannungsfeld zwischen Klima,- Umwelt und Ressourcenprobleme auf der einen Seite und Bevölkerungswachstum und Urbanisierung auf der anderen Seite auflösen kann. Erfreulicherweise sieht Ralf das ähnlich, wie diese (für den besseren Lesefluss redaktionell bearbeitete) Passage aus seinem Gespräch mit Tim bei der Akademie zeigt.

Wer sich heute für Klimaschutz, für Biodiversität engagiert, der hat ja ein chronisch gutes Gewissen. Man fühlt sich auf der richtigen Seite der Geschichte, man ist fortschrittlich. Weil es um die Überlebensbedingungen der Menschheit auf diesem Planeten geht und weil man für die Freiheit der künftigen Generation kämpft. Letzteres ist auch nicht falsch. Wenn der Klimawandel außer Kontrolle gerät und unsere natürlichen Lebensbedingungen gefährdet werden, dann ist das auch eine Gefahr für die Demokratie. Eine andauernde globale Umweltkrise schränkt die Selbstbestimmungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der künftigen Generationen dramatisch ein.

Allerdings ist das Engagement für konsequenten Klimaschutz nicht per se demokratisch. Es gibt eine Strömung ökologischen Denkens, die Politik auf ökologische Notstandsverwaltung mit drastischen Eingriffen in Bürgerrechte reduziert — eine Art Zuteilungsregime für knappe Ressourcen. Das ist kein Szenario, das vollkommen aus der Luft gegriffen ist. Das kann tatsächlich eintreten, wenn es uns nicht gelingt, die ökologischen Lebensbedingungen zu stabilisieren. Es gibt innerhalb der Ökobewegung eine autoritäre Unterströmung, die auf umfassende Gebote und Verbote bis in die private Lebensführung setzt. Wir haben sehr unterschiedliche politische Ideen, wie auf diese planetare Krise zu antworten ist.

Eine Ökologie der Restriktion

Wenn man den berühmten Bericht an den Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“ von 1972 noch einmal liest, fällt der autoritäre Grundton auf. Die Antwort, die der Club of Rome auf seine Diagnose — dass die Welt auf einen ökologischen Kollaps zu taumelt — gibt, heißt Kontrolle. Und zwar eine dreifache Kontrolle: Erstens über die industrielle und landwirtschaftliche Produktion, das Ende des Wachstums und eine strikte Reglementierung von Unternehmen. Zweitens eine starke Einschränkung der Konsumfreiheit. Und drittens, was heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist, auch eine durchaus rigide Kontrolle der Fortpflanzung. Für den Club of Rome gilt die rapide Zunahme der Weltbevölkerung als eine der Hauptursachen der ökologischen Krise.

Diese autoritäre politische Vorstellung, wie wir die Krise in den Griff bekommen, ist meines Erachtens eine konsequente Folge der Problemdiagnose, die der Club of Rome gibt. Im Wesentlichen beschreibt er nämlich die ökologische Krise als ein quantitatives Problem: Zu viele Menschen auf dem Planeten, zu viel Produktion, zu viel Abfall, zu viele Emissionen und zu viel Konsum. Und wenn die Diagnose lautet, dass die Gefährdung unserer natürlichen Lebensgrundlagen eine Folge des „zu viel“ ist, ist es konsequent, vor allem ein striktes „Weniger“ zu fordern: Wir müssen die menschlichen Aktivitäten auf diesem Planeten reduzieren, um wieder in ein Gleichgewicht mit der Natur zu kommen. Ich nenne das die Ökologie der Reduktion. Und wenn die Leute nicht freiwillig dem Aufruf zu Verzicht, Einschränkung und Selbstbeschränkung folgen, dann liegt es nahe, dass die Wende zum „Weniger“ vom Staat durchgesetzt werden muss. Also durch ein staatliches Kontrollregiment, das immer stärker eingreift, sowohl in die Ökonomie wie in die private Lebensführung der Menschen.

Das ist ein bisschen zugespitzt, aber es ist nicht aus der Luft gegriffen. Es gibt diese Vorstellungen in der Ökobewegung, teils latent und zum Teil auch offen. Und es ist kein Zufall, dass durchaus prominente Figuren wie zum Beispiel Jørgen Randers, der schon als Assistent von Dennis Meadows an „Die Grenzen des Wachstums“ beteiligt war, ganz offen mit dem chinesischen Modell sympathisiert, weil er der Auffassung ist, dass die parlamentarischen Demokratien nicht in der Lage sind, die nötigen Restriktionen durchzusetzen. Dass also gewählte Regierungen nicht die Kraft haben, gegen die Mehrheit der Wähler hart durchzugreifen, Betriebe stillzulegen und Einschränkungen von Konsum und Mobilität durchzusetzen. Deshalb glaubt er, dass eine autoritäre Formation, wie sie in China herrscht, eher in der Lage sein wird, die Wende zum Weniger umzusetzen.

Vom Prinzip einer ökologischen Ökonomie

Mal ganz davon abgesehen, welche Illusionen er sich über China macht, halte ich es für vollkommen inakzeptabel, Ökologie und Demokratie gegeneinander auszuspielen und im Namen der Ökologie eine massive Einschränkung demokratischer Freiheiten zu fordern. Es ist, natürlich, die stärkste denkbare Legitimation, wenn man sich auf das Überleben der Menschheit beruft – da scheint jeder Eingriff, jeder Zugriff gerechtfertigt. Das halte ich für einen gefährlichen Irrweg. Nicht nur weil Demokratie ein Wert an sich ist und demokratische Grundrechte sowie gesellschaftliche Selbstregierung auf keinen Fall zur Disposition gestellt werden dürfen. Ich bin auch zutiefst überzeugt, dass ein autoritäres Kontrollregime der falsche Weg ist, um mit der ökologischen Krise fertig zu werden. Natürlich ist es richtig, dass wir alle in unserer privaten Lebensführung ökologische Verantwortung übernehmen müssen. Natürlich ist es richtig, möglichst mit dem Rad oder öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren und weniger Fleisch zu essen. Niemand muss unbedingt am Wochenende zum Shoppen nach London düsen oder alle paar Wochen Kurzurlaub auf Mallorca machen. Aber selbst, wenn wir uns sehr verantwortlich verhalten, können wir durch veränderte Lebensstile vielleicht 20 oder maximal 30 % der nötigen Reduktion der CO2-Emissionen erreichen.

Klimaneutral zu werden heißt für die hochindustrialisierten Gesellschaften: Reduktion von Treibhausgasen gegen Null. Das ist durch die Privatisierung der Klimafrage schlichtweg nicht zu erreichen. Nicht durch Einschränkungen und Verzicht, sondern vor allem durch eine Revolution unserer Produktionsweise. Der Klimawandel ist das Resultat der fossilen Industriegesellschaft, die ihren Reichtum auf der Basis der scheinbar unbegrenzten Verfügbarkeit von Kohle, Öl und Gas vermehrt hat. Das ist der Hebel, den wir ansetzen müssen. Wir müssen die Transformation von einer fossilen in eine postfossile Industriegesellschaft schaffen: in eine Solar-Wasserstoff-Ökonomie, die auf der Photosynthese beruht. Also auf der Umwandlung von Sonnenlicht, Wasser und CO2 in chemische Energie, auf der die biologische Welt mit ihrem ganzen Reichtum aufbaut. Die Natur ist nicht karg. Selbst in der Sahara blüht es im Verborgenen. Die Kombination aus Photosynthese und stofflichen Kreisläufen ist das Prinzip einer ökologischen Ökonomie. Es geht um nichts weniger als eine grüne industrielle Revolution: den Übergang zu erneuerbaren Energien, nachwachsenden Rohstoffen und synthetischen Kraftstoffen, die auf der Basis erneuerbarer Energie produziert werden. Das kann man durchbuchstabieren bis zur Chemie, zur Stahlindustrie oder der Zementherstellung.

Decoupling als Kern einer grünen industriellen Revolution

Die große Herausforderung ist, wie wir den Übergang in eine klimaneutrale Industriegesellschaft schaffen, die in der Lage ist, die Bedürfnisse von demnächst 10 Milliarden Menschen auf der Welt zu befriedigen. Wir müssen unsere destruktiven Einwirkungen auf das Ökosystem reduzieren. Zugleich leben wir in einer wachsenden Weltgesellschaft. Die Menschenzahl wächst, und die Urbanisierung ist ein enormer Schub für Bautätigkeit, Infrastruktur und Energiebedarf. Heute lebt rund die Hälfte der Menschen in Städten. Die UN sagen voraus, dass es 2050 bis zu 80 % sein werden. Nicht zuletzt treibt der Aufstieg von Milliarden Menschen aus bitterer Armut in die moderne Mittelschicht das wirtschaftliche Wachstum an.

Diese Wachstumsprozesse wird niemand aufhalten. Für die große Mehrheit der Weltbevölkerung ist sozialer Aufstieg nach wie vor an Wirtschaftswachstum gebunden. „Degrowth“ ist global betrachtet eine reine Illusion. Die entscheidende Herausforderung ist, die Wohlstandsproduktion für eine wachsende Weltgesellschaft vom Naturverbrauch zu entkoppeln. Das ist keine Fata Morgana. Decoupling ist der Kern einer grünen industriellen Revolution. Dafür spielen Kreislaufökonomie und Cradle to Cradle eine zentrale Rolle – also das Prinzip, dass jedes Produkt wieder in den biologischen oder den industriellen Kreislauf zurückgeführt werden muss. Ein zweiter Faktor ist eine sprunghafte Steigerung der Ressourceneffizienz: aus weniger mehr machen. Drittens geht es um den Übergang zu einer Solar-Wasserstoff-Ökonomie.

Keine Frage: Die Strapazierfähigkeit der Ökosysteme ist begrenzt. Wir dürfen die planetarischen Grenzen nicht überschreiten. Aber die Einstrahlung der Sonne auf die Erde ist praktisch unbegrenzt. Wir nutzen sie momentan nur zu einem minimalen Anteil. Auch die menschliche Erfindungskraft ist unbegrenzt. Sie hat uns über die letzten 200 Jahre, seit Beginn der Industriellen Revolution, zu enormen Fortschritten geführt: Eine Verdoppelung der Lebenserwartung bei gleichzeitigem Anstieg der Weltbevölkerung um den Faktor 7, ein ungeheurer Anstieg des Bildungsniveaus, der politischen und sozialen Teilhabe. Alles das ist mit der wissenschaftlich-technischen Revolution und der Ausbreitung der Demokratie entstanden. Das sind die beiden Elemente der Moderne, die wir nicht preisgeben dürfen. Sie sind auch die Antwort auf die ökologische Krise.

Aus hohen Ansprüchen folgt hohe Qualität

Aus hohen Ansprüchen folgt hohe Qualität 1280 640 C2C LAB

1982 hat Jürgen Hack gemeinsam mit Kerstin Stromberg Sodasan gegründet. Damals wurden die ersten Mischungen für Reinigungsmittel noch im Betonmischer produziert und die erste Rezeptur hieß aufgrund eines Druckfehlers „Spürmittel“ statt „Spülmittel“. Seither ist der Vordenker für ökologische Wasch- und Reinigungsmittel und Nachhaltigkeitspionier mit Sodasan einen langen Weg gegangen. Im LAB Talk mit Nora hat sich Jürgen am 30.07. über sein Verständnis eines ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatzes und die politischen Rahmenbedingungen dafür unterhalten.

Nach seinem Chemie-Studium hat Jürgen Hack zunächst in der Erdölbranche gearbeitet. Dann verliebte er sich, hängte ein Studium der Sozialwissenschaften dran und fand dann doch den Weg zurück zur Chemie. Statt auf Erdöl konzentrierte er sich allerdings auf die Idee, ökologische Reinigungsmittel zu entwickeln – auch durch den Einfluss seiner nachhaltigkeitsbewussten Partnerin. Daraus entstand schließlich das Unternehmen Sodasan. Man glaubt ihm, wenn er davon erzählt, er sei nie dem Geld hinterhergelaufen. Trotzdem ist Sodasan heute ein finanziell gesundes Unternehmen. Seiner Überzeugung nach komme diese gesunde Ökonomie von allein, wenn man hohe ökologische und soziale Ansprüche erfülle und damit qualitativ hochwertige Produkte liefere. Um diesen Ansprüchen zu entsprechen, verfolgt Jürgen mit Sodasan einen ganzheitlichen Ansatz. Dazu, so sagte er, gehöre auch, Cradle to Cradle in allen Bereichen umzusetzen.

Von erneuerbarer Energie in der Produktion bis hin zu biologisch abbaubaren Reinigungsmitteln

Viele Konsument*innen würden bei Reinigungsmitteln nur nach biologischer Abbaubarkeit fragen. Für Jürgen hingegen ist das nur der letzte Teil der Produktbiografie, wenn auch ein wichtiger. Welche Energieform wird zur Produktion verwendet? Woher kommen überhaupt die Rohstoffe, sind sie nachwachsend oder petrochemisch? Und wenn sie nachwachsend sind, stammen sie aus ökologischem Landbau? All dies müsse bei der Produktentwicklung und Produktion beachtet werden, was auch Achtsamkeit bei der Wahl der Lieferant*innen fordere, sagte er.

Auch für C2C NGO sind transparente und nachvollziehbare Lieferketten enorm wichtig. Denn die Frage, ob soziale Standards bei der Herstellung eingehalten wurden, oder ob importierte Produkte möglicherweise Schadstoffe enthalten, hängt direkt davon ab. Allein aus Gründen der künftigen Wettbewerbsfähigkeit ist es kaum nachvollziehbar, dass es nur wenige Unternehmen wie Sodasan gibt, die sich diese Transparenz selbst auferlegen. Das diskutierte Lieferkettengesetz würde dabei helfen, dies zu ändern.

Die wahren Kosten der Herstellung müssen im Preis abgebildet werden

Weil Sodasan auf Qualität achtet, sind die Reinigungs- und Waschmittel aber oft teurer als konventionelle Produkte von den Big Playern. „Auch wenn wir biologische Rohstoffe einsetzen, wäscht das Waschmittel ja nicht besser“, sagte Jürgen. Ihn störe allerdings, dass die höheren Kosten an einem System lägen, in dem die wahren Kosten der Herstellung nicht in den Preisen abgebildet würden. Ein Argument, dem Nora voll zustimmte. Die Kosten für Schäden der Produkte an Mensch und Natur trage die Allgemeinheit, während die Gewinne privatisiert würden.

Aus der Nische heraus weiter zu wachsen sei kompliziert, sagte Jürgen. Man müsse sich dafür einem anderen Umfeld aussetzen, einem Ellbogen-wirtschaften, das härter und unsolidarischer als in der Ökobranche üblich um die Preise feilsche. Und das ist für Jürgen, dem es nach wie vor „nicht um größtmögliche Rendite geht“, fremd. Andererseits: „Was nützt es, ökologische Produkte zu haben und niemand kauft sie?“ Jürgen sieht sein Engagement mit Sodasan vor diesem Hintergrund auch gerne als Impulsgeber. Vor 40 Jahren gab es kaum Nachfrage für ökologische Produkte. Heute, nicht zuletzt auch durch Bewegungen wie Fridays for Future, sei das Bewusstsein dafür geschärft.

Jürgen sieht auch die Bemühungen großer Hersteller in Richtung mehr Nachhaltigkeit positiv – wenngleich es sich um kleine Schritte handele. Wenn Unternehmen mit kleinem ökologischem Fortschritt viele Menschen erreichten, bewirke das vielleicht mehr, als wenn ganzheitlich ökologische Hersteller nur Wenige erreichten, erläuterte Jürgen. Unterm Strich reichen die Bemühungen dem Nachhaltigkeitspionier aber natürlich nicht aus. Er wünscht sich in allen Belangen einen ganzheitlichen Ansatz: „Wir sind noch nicht am Ziel, wir sind auf dem Weg“, sagte er. Was er sich für die Zukunft wünschen würde? Mehr ökologischen Landbau und eine Abkehr von der industriellen Landwirtschaft als Grundlage. Er versuche mit Sodasan ein Vorbild zu sein und wolle weiterhin Impulse für eine bessere Zukunft setzen.

Von mangelnder Geschwindigkeit beim Umweltschutz und dem Green Deal als Chance für Europa

Von mangelnder Geschwindigkeit beim Umweltschutz und dem Green Deal als Chance für Europa 1536 1024 C2C LAB

Canan Bayram ist direkt gewählte Bundestagsabgeordnete des Berliner Wahlbezirks Friedrichshain-Kreuzberg – und da befindet sich auch unser C2C LAB. Mit Tim sprach die Grünen-Politikerin und Juristin im LAB Talk unter anderem darüber, was sich der Rest der Welt von diesem bunten Kiez abschauen kann, welches Alleinstellungsmerkmal die Grünen auszeichnet, wenn alle Parteien über Nachhaltigkeit reden und warum es in Berlin viele Orte wie das C2C LAB geben sollte.  

Canan Bayram hat unser C2C LAB zuletzt bei der Eröffnungsfeier im September 2019 besucht – und seither ist viel passiert. Unter anderem konnten wir durch die Corona-Maßnahmen lange keine Gäste vor Ort empfangen und haben daher die digitalen LAB Talks etabliert. Dabei war klar: Sobald es wieder möglich ist, wollen wir vort Ort mit der Bundestagsabgeordneten darüber sprechen, wie sie die vergangenen Monate erlebt hat und wie sich die Nachhaltigkeitsdiskussion in der Politik aus ihrer Sicht in dieser Zeit verändert hat – auch vor dem Hintergrund des Corona-Pakets, dass die Bundesregierung geschnürt hat, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern. Am 25. Juni war es soweit.  

“Mein Eindruck ist, dass das Thema Nachhaltigkeit so drängend ist, dass es während Corona nicht von der Agenda gerutscht ist”, sagte Canan. Die Diskussion um die Hilfen für die Autoindustrie habe gezeigt, dass ein Bewusstsein dafür da sei, dass es nicht weitergehen könne wie bisher. Das schreibt Canan auch den Demonstrationen junger Menschen in den vergangenen beiden Jahren zu: “Auch wenn die Jugend derzeit nicht mehr so präsent auf die Straße gehen kann, sie wird mit ihrem Anliegen noch gehört”, ist sich Canan sicher.  

CradletoCradle im öffentlichen Diskurs  

Auch Cradle to Cradle sieht sie in diesem Zusammenhang im Diskurs angekommen. Es werde zunehmend darüber diskutiert, dass schon bevor ein Produkt hergestellt oder ein Gebäude gebaut wird, darüber nachgedacht werden muss, was damit nach der Nutzung geschehen soll. Unter anderem wird im Action Plan Circular Economy der EU-Kommission darauf abgehoben, dass nachhaltiges und zirkuläres Wirtschaften bereits beim Design beginnen müsse. Eine Position, die dem C2C Designkonzept entspricht und von uns als NGO daher begrüßt wird.  

Doch wie geht Canans Partei Bündnis 90/Die Grünen damit um, dass solche Positionen auf nationaler und europäischer Ebene nun auch bei jenen Parteien angekommen sind, die sich traditionell wenig mit den Themen Klima und Umwelt beschäftigt haben? “Wir freuen uns, wenn solche wichtigen Themen Konsens werden, aber wir prangern auch an, wenn Greenwashing betrieben wird”, so Canan. Sie sieht gute Chancen für die Grünen, nach der nächsten Bundestagswahl Regierungsverantwortung zu übernehmen, gerade weil sich mit Klima- und Umweltschutz ein traditionell grünes Thema in der Breite durchgesetzt hat. “Jetzt kommt es auf uns an, wir haben die Leute, die dafür brennen und stehen in den Startlöchern. Wir lassen uns da aber nichts vormachen: Wir haben uns die Kompetenz für diese Themen über Jahrzehnte angeeignet”, so Canan.  

Dieser Zeitraum, warf Tim an dieser Stelle ein, spreche allerdings auch für mangelnde Geschwindigkeit. “Wir diskutieren noch immer über die Themen, über die Einige vor 30 Jahren schon diskutiert haben”, sagte er. Die Frage heute sei doch: Wie erreichen wir einen schnellen Wandel, und zwar innerhalb eines demokratisch erreichten Konsenses? Canan ist davon überzeugt, dass die Veränderungsbereitschaft der Bürger*innen heute größer sei als vor Corona – und damit eine der bisherigen Hürden zumindest niedriger geworden ist. “Wenn der politische Wille da ist und damit die Macht, die sich aus einer demokratischen Wahl ergeben hat, dann sind große Veränderungen möglich”, sagte sie. Es brauche aber auch eine Vision und die Vorstellung davon, was geleistet werden könne. “Und dafür braucht es eben auch Orte wie euren hier, wo man hingehen kann und sich die konkrete Umsetzung einer Idee anschauen kann. Wenn es solche Räume gibt haben wir die Kraft, diese Veränderung auch in den Mainstream zu bekommen”, so Canan.  

Friedrichshain-Kreuzberg verbindet Freiheit mit Verantwortung 

In Canans Wahlbezirk Friedrichshain-Kreuzberg sind viele Veränderungen, die auch Cradle to Cradle anstrebt, bereits Realität. Nicht unbedingt im Bereich kreislauffähiger Gebäude oder vieler Unternehmen, die C2C umsetzen. Aber Prinzipien wie Wiederverwenden und Teilen und ein gesundes soziales Miteinander, die eben auch Teil von C2C sind, werden hier stärker gelebt als in anderen Stadtteilen oder Städten. Gleichzeitig steht der Bezirk aber eben auch für eine hedonistische Lebensweise, die die Menschen und das Leben selbst feiert. “Manchmal sind wir aus all diesen Gründen das Schreckgespenst, dass die CDU gerne aufmalt. Aber wir zeigen eben auch, dass es möglich ist, Freiheit so mit Verantwortung zusammen zu bringen, dass es keine Last ist”, so Canan.  

Nachholbedarf hat Berlin aus C2C-Sicht aber noch an vielen Stellen. Ein guter Start wäre, Cradle to Cradle als Kriterium für öffentliche Ausschreibungen einzuführen, wie auch ein Zuschauer bemerkte. Rechtlich sei dies durchaus möglich, so Canan. Und zudem sei der Zeitpunkt gut, solche Forderungen zu stellen, da die Parteien bald damit beginnen, an ihren Wahlprogrammen für die nächste Wahl zu schreiben. “Ich nehme diesen Vorschlag gerne mit und reiche sie an das Land Berlin weiter”, sagte Canan. Der Einfluss der Politik auf die landeseigenen Wohnbaugesellschaften sei “ausbaufähig”. Die Verankerung von C2C-Kriterien in Ausschreibungen seien daher ein probater Anreiz für diese Gesellschaften.  

Der Green Deal als “große Chance für Europa” 

Wichtiger sei es allerdings, auf übergeordneter, und damit auf europäischer Ebene, Rahmenbedingungen für eine lebenswerte Zukunft zu setzen. Ein Gesetz wie jenes zum Verbot von Einwegplastik wäre im nationalen Rahmen nur schwer umzusetzen gewesen, so Canan. “Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will den europäischen Markt regulieren damit sich die Wettbewerbsvoraussetzungen ändern und niemand einen Wettbewerbsnachteil hat. Dann ist es einfacher, bestimmte Dinge in den Markt zu bringen. Das ist eine große Chance für Europa”, schätzt Canan den European Green Deal ein. Hoffnung gibt ihr dabei auch, dass von der Leyen mit der Unterstützung von Ländern ins Amt gewählt wurde, die “normalerweise nicht an der ersten Reihe von Veränderung stehen”. Das sei “ein Hinweis darauf, dass man diese Länder bei Umweltpolitik Einklang mit Wirtschaftspolitik mitnehmen kann”.  

Cradle to Cradle aus nationalen Roadmaps in europäische Gesetze bringen

Cradle to Cradle aus nationalen Roadmaps in europäische Gesetze bringen 1116 835 C2C LAB

LadejaGodinaKošir ist eine der zentralen europäischen Netzwerkerinnen für eine umfassende Kreislaufwirtschaft. Im ersten englischen LAB Talk erklärt sie im Gespräch mit Tim, warum CradletoCradle in den Action Plan Circular Economy einfließen sollte und warum nationale Roadmaps dafür eine gute Voraussetzung sind.  

Dass Ladeja Godina Košir eine überzeugte Europäerin ist, zeigt sich allein daran, dass sie fünf Sprachen spricht. Darunter ein wenig Deutsch, ihre Muttersprache Slowenisch und Englisch. Im ersten englischen LAB Talk wurde aber auch darüber hinaus deutlich, dass ihr die Entwicklung und Zukunftsfähigkeit der EU und Europas am Herzen liegt. Und, dass sie eine Transformation der europäischen Wirtschaft in eine echte Kreislaufwirtschaft als den Weg sieht, diese Zukunftsfähigkeit zu sichern.  

Die dreifache Mutter ist nicht nur Gründerin und Executive Director der slowenischen Stakeholder-Plattform Circular Change, sondern leitet seit 2017 auch die Koordinationsgruppe der European Circular Economy Stakeholder Platform, die unter anderem von der EU-Kommission gegründet wurde.  In der Koordinationsgruppe sind 24 Organisationen, Branchenverbände und NGOs vertreten, die die Einführung einer europäischen Kreislaufwirtschaft vorantreiben wollen. “Wir wollen die Botschaft verbreiten, zum Mitmachen einladen, unser Wissen sowie Praxisbeispiele teilen”, erklärte Ladeja beim LAB Talk am 28. Mai im Gespräch mit Tim.  

Natürliche Kreisläufe als Vorbild nehmen  

Der Kern ihrer Botschaft: Kreislaufwirtschaft sei ein Werkzeug, um unsere Lebensqualität künftig zu erhalten. Als Vorbild und Argument dafür dienten die Kreisläufe der Natur. “Wenn man seinen logischen Menschenverstand nutzt und darüber nachdenkt, was es braucht, um Lebensqualität und einen bestimmten Lebensstandard zu erhalten, dann kommt man automatisch zur Circular Economy”, so Ladeja.  

Wie auch Tim, erkennt Ladeja einen Trend, dass sich diese Erkenntnis zunehmend durchsetzt. Vor fünf Jahren sei Kreislaufwirtschaft lediglich unter politischen Entscheidungsträger*innen ein gängiger Begriff gewesen. Für die meisten Wirtschaftsakteur*innen sei es dabei lediglich um Abfallmanagement gegangen. “Langsam sehen wir, dass die Wirtschaft darin eine branchenübergreifende Chance erkennt”, so Ladeja. Auch C2C NGO wolle Politik und Unternehmen an einen Tisch bringen, so Tim. “Alle Stakeholder zu vernetzen und so Cradle to Cradle voranzubringen ist Kern unserer Arbeit. Denn unsere Ziele werden wir nur erreichen, wenn alle an einem Strang ziehen”, sagte er.   

Allerdings, auch da stimmten die beiden überein, halte die Angst vor Veränderung viele Entwicklungen nach wie vor auf. Dabei, so Ladeja, sei es wichtig, Herausforderungen anzunehmen und Veränderungen als Chance zu erkennen, die Dinge besser zu machen. “Gerade treffen mit   Corona und der Klimakrise zwei Krisen aufeinander. Das lähmt die Menschen. Aber wir müssen für neue Lösungen und den Umgang damit offenbleiben”, sagte sie. Der Wille, Umzudenken, sei auf dem Weg zu einer lebenswerten Zukunft für alle wichtiger als einzelne Bausteine wie etwa die zweifelsohne benötigte Senkung der CO2-Emissionen.   

Bausteine unseres Systems neu zusammensetzen 

Corona habe gezeigt, dass viele Systeme, in denen wir uns bewegen, nicht mehr funktionieren. Sie nannte das Gesundheits- und Bildungswesen sowie das Wirtschaftssystem als Beispiele dafür. Um auf die künftigen Herausforderungen für Menschen und die Umwelt reagieren zu können, sei es daher notwendig, diese Systeme umzubauen. “Wie bei einem Lego-Bauwerk müssen wir die einzelnen Bauteile voneinander trennen und das Bauwerk neu aufbauen. Wir lösen unsere Probleme nicht, indem wir zurück in die Höhle kriechen und verzichten, sondern indem wir neue Wege gehen”, so Ladeja.  

Auch der Weg zu einer europäischen Kreislaufwirtschaft bestehe aus vielen einzelnen Bauteilen, so Ladeja, und meint damit vor allem nationale Roadmaps. Ladeja schrieb 2016 an der National Roadmap Circular Economy in Slowenien mit und erzählte, welche Erfahrungen sie daraus für ihre Arbeit auf europäischer Ebene zog. “Wir müssen regionale Unterschiede beachten. In einem Land, das früher kommunistisch war, braucht es andere Herangehensweisen, um die Menschen davon zu überzeugen, dass beispielsweise Sharing-Modelle zukunftsfähig sind und die Menschen dafür nicht zurückstecken müssen”, sagte sie. Dort habe Eigentum aus historischen und kulturellen Gründen einen ganz anderen Stellenwert als in anderen Ländern. Die Roadmaps ermöglichten wichtige Einblicke in die regionalen Gegebenheiten und die dortigen Stakeholder und eine steile Lernkurve von Region zu Region. “Das ist eine gute Ausgangsbasis für eine breite Einführung von Kreislaufwirtschaft”, ist sie überzeugt. Das entspricht auch dem Gedanken von Cradle to Cradle. Die C2C Denkschule beinhaltet, dass regionale Unterschiede und Vielfalt in der Ausgestaltung einer C2C-Welt beachtet und positiv genutzt werden.  

CradletoCradle in den Aktionsplan Kreislaufwirtschaft einbringen 

Diese Gangart ist für Ladeja auch die einzige Möglichkeit, auf globaler Ebene etwas zu bewegen. Es funktioniere nicht mehr, etwa Entwicklungsländern Denkweisen überstülpen zu wollen. Insbesondere, wenn es um Klima- und Umweltschutz gehe. “Viele Menschen in diesen Ländern leben besser mit der Natur im Einklang als wir es tun”, so Ladeja. Stattdessen müsse zusammengearbeitet werden, um gemeinsam Lösungen zu finden, die auf regionaler und globaler Eben funktionierten.  

Das Konzept Kreislaufwirtschaft und Cradle to Cradle als breiterer Ansatz müssen für Ladeja dabei Hand in Hand gehen. “Die Koexistenz von Menschen und Umwelt, die bei Cradle to Cradle elementar ist, muss auch im Sinne der Kreislaufwirtschaft stärker betont werden. Der technologische und der biologische Kreislauf werden bei C2C nicht nur perfekt beschrieben, sondern vor allem auch durch Lösungen möglich gemacht”, sagte sie. Das gelte auch für jene Bereiche wie Textilien, Plastik oder den grundsätzlichen Umgang mit Ressourcen, die im Aktionsplan Kreislaufwirtschaft der EU enthalten sind. Daher sollte ihrer Meinung nach möglichst viel C2C in diesen Aktionsplan einfließen. “Viele C2C-Standards könnten dazu beitragen, die Transformation schneller voranzubringen”, so Ladeja abschließend.