Positiver Fußabdruck in der Wüste Ägyptens

LAB Talk: Tim Janßen im LAB mit Helmy Abouleish am PC

Positiver Fußabdruck in der Wüste Ägyptens

Positiver Fußabdruck in der Wüste Ägyptens 1280 960 C2C LAB

Am 20. April war der Unternehmer und Geschäftsführer der ägyptischen Sekem-Initiative, Helmy Abouleish, zu Gast im LAB Talk. Das Beiratsmitglied von C2C NGO setzt sich seit Jahren für eine organische und nachhaltige Landwirtschaft ein. Sekem ist jedoch nicht nur Landwirtschaftsbetrieb – in dem  Projekt spielen auch Bildung, Forschung und Gemeinschaft eine große Rolle. Im Gespräch mit Tim erklärte Helmy, wie Sekem zur Transformation zu einer nachhaltigen und zirkulären Wirtschaftsweise beiträgt.

Wenn Helmy Abouleish von Sekem erzählt, bezeichnet er das Projekt gerne als Wunder. Und die Geschichte der Initiative klingt durchaus unwahrscheinlich: Vor über 40 Jahren von seinem Vater Ibrahim Abouleish in der ägyptischen Wüste, knapp 60 Kilometer nordöstlich von Kairo ins Leben gerufen, betreibt die Initiative biologischen Landbau und arbeitet kontinuierlich an der Urbarmachung der unfruchtbaren und unwirtlichen Umgebung.

Damals sei Ägypten ein Land gewesen, das mit zahlreichen Problemen zu kämpfen hatte, sagte Helmy im LAB Talk. Das Land sei autoritär regiert worden und habe kaum Chancen auf politische Mitbestimmung geboten. Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung stark. Die Umwelt Ägyptens litt besonders unter dem enormen Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger in der konventionellen Landwirtschaft, erzählte Helmy.

Diesen Zuständen wollte Ibrahim Abouleish mit Sekem ein Modell für nachhaltige Entwicklung in den vier Dimensionen Wirtschaft, Bildung, Kultur und Gemeinschaft entgegensetzen. 1977 startete das Projekt auf anfangs 70 Hektar Fläche. Seitdem ist viel passiert: Sekem wächst Helmy zufolge jährlich um rund 20-30%, ist inzwischen einer der größten landwirtschaftlichen Betriebe auf dem afrikanischen Kontinent und betreibt seit 2012 sogar eine eigene Hochschule.

Zum Umdenken inspirieren

Helmy sieht die Welt heute vor großen Problemen. Das System, mit dem wir 200 Jahre lang erfolgreich waren, könne diese Herausforderungen nicht lösen. Deshalb brauche es ein grundlegendes Umdenken in Richtung Zirkularität. Sekem zeige, wie eine wirklich nachhaltige und zukunftsweisende Wirtschaftsweise aussehen kann.

Mit seinem Ansatz verfolge Sekem die gleiche Fragestellung wie Cradle to Cradle, sagte Helmy: „Wie kann man die Gemeinschaft inspirieren, ein Umdenken zu nachhaltigen Modellen zu finden?“ Die Verantwortung für dieses Umdenken, diese Transformation, ließe sich nicht allein auf Konsument*innen, die Politik oder Produzent*innen legen, befand er. Jede Stufe in der Wertschöpfungskette könne einen wichtigen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit leisten, so Helmy. „Jede*r, der sich diese Frage stellt, macht den Wandel möglich.“

Kreisläufe und ein positives Menschenbild

Landwirtschaft ist ein zentraler Bestandteil und das wirtschaftliche Rückgrat Sekems – und trotzdem will die Initiative viel mehr als das. In dem Projekt ging es von Anfang an um einen ganzheitlichen Ansatz, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt und Lösungen für ein Wirtschaften sucht, das im Einklang mit ökologischen und ethischen Prinzipien steht. Zentral ist dabei das positive Menschenbild, das die Initiative mit dem Cradle to Cradle-Ansatz teilt. Ebenso wie C2C will Sekem zeigen, wie der Mensch einen positiven Impact auf Umwelt und Gemeinschaft haben und das Wissen darum verbreiten kann.

Mehr als Landwirtschaft: Bildung und Gemeinschaft

Den ganzheitlichen Ansatz Sekems verdeutlichte Helmy mit einer Anekdote: Die erste Investition seines Vaters Ibrahim Abouleishs nach der Gründung von Sekem war ein Traktor, gleich darauf folgte ein Klavier. Denn die Kultur leiste eine wichtige Funktion: Sie befähige die Menschen, ihre Arbeit mit Erfolg zu betreiben, sagte Helmy. Bei Sekem gehe es nicht nur um die Arbeit selbst, sondern auch darum, sie mit einem Sinn zu verbinden.

Ebenso wie Kultur und Gemeinschaft sei auch die Bildungsarbeit integraler Teil Sekems, erklärte Helmy. Die Initiative betreibt Schulen, Kindergärten und seit einigen Jahren auch eine Hochschule: die Heliopolis Universität für nachhaltige Entwicklung. Die 3.000 Studierenden würden zu Botschafter*innen, um eine Sekem-Botschaft in die Welt zu tragen: Auch ein*e einfache*r Unternehmer*in kann die Welt mitgestalten und verbessern.

Bodenaufbau und ein positiver Fußabdruck

Doch wie gelingt Sekem die Urbarmachung des ägyptischen Wüstenbodens? Beim Bodenaufbau gehe es darum, aus totem Wüstensand lebendige Böden zu machen, sagte Helmy. Dabei spielen neben Wasser, auch Geräte, Tiere, Menschen, sinnvolle Fruchtfolgen und vor allem Kompost eine wichtige Rolle. Denn Kompost sei das wirkliche schwarze Gold in der Wüste, erklärte er. Damit steht die Landwirtschaft bei Sekem ganz im Sinne von Cradle to Cradle: Natürliche Prozesse werden genutzt, indem Produktionsabfälle als Kompost direkt wieder in den Kreislauf gelangen und so zu Nährstoff für den Boden und die nächste Ernte werden. So zeigt Sekem, wie eine klima- und umweltpositive Wirtschaftsweise funktionieren kann: „In Sekem sind wir froh und stolz, dass wir seit 43 Jahren einen sehr positiven Fußabdruck hinterlassen. Wir haben nicht nur unseren CO2 Ausstoß verringert, sondern wir können belegen, dass wir Millionen Tonnen an Kohlenstoff fixiert haben: In Bäumen, Böden, Prozessen oder erneuerbaren Energien“, sagte Helmy.

Wirkliche Kosten und Konkurrenzfähigkeit

„An der Oberfläche sieht es immer noch so aus, als ob eine nachhaltige Landwirtschaft teurer ist“, stellte Helmy im Gespräch mit Tim fest. Dass biologisch produzierte Nahrungsmittel und Produkte mehr kosten als konventionell angebaute, sei aber ein weit verbreiteter Trugschluss. Denn im Gegensatz zu organischer Produktion würden die Endpreise von Erzeugnissen aus der konventionellen Landwirtschaft die externalisierten Kosten nicht abbilden. Wenn alle ökologischen und sozialen Folgekosten der konventionellen Landwirtschaft nach dem „Full Cost Accounting“-Prinzip eingerechnet würden, sei der organische Anbau gerade auf lange Sicht volkswirtschaftlich wesentlich günstiger, so Helmy.   Die Heliopolis Universität habe dazu Studien erstellt. Die Ergebnisse zu verbreiten sei nun ebenso wichtig wie internationale Studien folgen zu lassen. Nur so könne es gelingen, einen umfassenden Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft durchzusetzen.

Aktuell gebe es noch zu viele wirtschaftliche Interessen, die ein anderes Denken pflegen und auf kurzfristige Gewinnmaximierung fokussiert seien. Deshalb versuche Sekem, auch in der Politik das Bewusstsein für die Folgekosten des heutigen Wirtschaftens zu wecken. Verursacher*innen von Umweltschäden und Emissionen müssten stärker in die Pflicht genommen werden, so Helmy.

Gleichzeitig arbeite Sekem daran, die biodynamische Landwirtschaft  effizienter zu machen. „Langfristig wird man es sich nicht weiterhin leisten können, das falsche Handeln zu subventionieren“, sagte Helmy. Für Sekem sei es zum Beispiel schon jetzt billiger, erneuerbare Energie selbst zu produzieren, als den Strom regulär zu beziehen. Auch dass biologischer Dünger durch Kompostierung günstig selbst hergestellt werden kann, helfe Sekem, im Vergleich zu konventioneller Produktion konkurrenzfähig zu sein. So werden schon jetzt die organischen Produkte Sekems kontinuierlich günstiger und können Verbraucher*innen aller Einkommensschichten erreichen.

Eine nachhaltige Transformation ist möglich

Sekem macht vor, dass der Umstieg auf eine nachhaltige und zirkuläre Wirtschaftsweise möglich ist und sich lohnt. Ganz im Sinne von Cradle to Cradle hat das Projekt rundum positive Effekte auf Mensch und Umwelt. Es beweist, dass Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit sich keinesfalls widersprechen, sondern sich auf lange Sicht gegenseitig bedingen. Die Menschen in Sekem bauen nicht nur aktiv Boden auf und binden Kohlenstoff, sie tragen auch zur Biodiversität bei und geben mittels Bildung und Gemeinschaft die Idee von einer wirklich nachhaltigen Wirtschaft im Einklang mit der Natur weiter.

Cradle to Cradle zeigt, wie sich diese Prinzipien auch in anderen Bereichen der Wirtschaft anwenden lassen und der Mensch einen positiven Impact haben kann. „Wir müssen daran glauben, dass es keine Missions Impossible gibt“, stellte Helmy im LAB Talk abschließend fest.