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Das Undenkbare denken

Das Undenkbare denken 2560 1920 C2C LAB

Mojib Latif, Klimaforscher, Meteorologe, Hochschullehrer und seit 2017 Präsident der deutschen Gesellschaft Club of Rome, ist jemand, der stets einen Schritt weiter denkt. So sieht er den Zusammenhang zwischen sozialer Gerechtigkeit und der Klimakrise auf dem Weg zu einem besseren Wirtschaftssystem oder hinterfragt die derzeitige Diskussion rund um die Mobilitätswende. Warum das so ist und ob unsere Wirtschaft weiter wachsen sollte, war Thema von Mojib Latif und Tim im Rahmen unseres LAB Talks am 14. Mai 2020.

Soziale und globale Gerechtigkeit gehe Hand in Hand mit Klima- und Umweltschutz. Oder anders gesagt: Wer kümmert sich um Klimaschutz, wenn man drei Jobs hat und sich um das Überleben in der Gesellschaft sorgt? Eine Lösung ist für Mojib: „Wohlstand für alle, dann regelt sich der Rest von allein!“ Eine grundlegende Angst von Vielen sei, dass der kleine Mann* oder die kleine Frau* die Zeche zahlen müsse. Momentan beute ein kleiner, reicher Teil der Gesellschaft den Rest der Welt für mehr Profit aus. Stattdessen bräuchten wir ein neues Wirtschaftssystem, in dem die Preise die realen Kosten wiederspiegeln und Profit zu Lasten der Umwelt sich nicht mehr lohnt – in dem Punkt sind sich Mojib und Tim einig: Ein gerechtes Wirtschaftssystem, in dem Dinge neu gedacht werden. Das bedeute für Mojib auch, dass die Gelder zur Unterstützung der Wirtschaft im Zuge der Coronakrise nicht für die Entwicklung von neuen SUVs, sondern für eine komplette Mobilitätswende genutzt werden. Die Diskussion ob Wasserstoffantrieb, Verbrennungsmotor oder doch E-Mobilität die Lösung sei, sei zu kurz gedacht. Denn ein Auto stehe sowieso nur 80-90 Prozent der Zeit rum, ohne genutzt zu werden. Man müsse endlich anfangen, das Undenkbare zu denken und Verkehr als Serviceleistung sehen. Eine Forderung nach neuen Geschäftsmodellen, die auch Cradle to Cradle stellt.

Dafür, dass früher als Utopien bezeichnete Entwicklungen durch Innovation und konsequentes Umdenken Realität werden können, gibt es Mojib zufolge ein gutes Beispiel: die Entwicklung erneuerbarer Energien. „Hättest du vor 20 Jahren gesagt, wir produzieren in 20 Jahren zu weit über 40% aus Sonne und Wind, also erneuerbar, du wärst ausgelacht worden.“ Genauso wurde bereits vor sieben Jahren im Bundestag vor einer Pandemie gewarnt und gefordert, dass man sich besser darauf vorbereiten müsse. Trotzdem wurde damals zu wenig unternommen, weil es undenkbar schien. Mojib warnt nun schon seit Jahren vor den gefährlichen Auswirkungen unseres Handelns auf Klima und Umwelt, auch wenn diese Einigen momentan undenkbar vorkommen.

Eine Frage treibt Mojib derzeit jedoch besonders um: Ob die Klimakrise durch die Coronakrise in Vergessenheit gerät. Er fürchtet, dass sich dabei die Vergangenheit wiederholen könnte. Bereits 2006 lenkte der frühere US-Vizepräsident Al Gore mit dem Film „Eine unbequeme Wahrheit“ das öffentliche Interesse auf den Klimaschutz. Dann kam die Finanzkrise und anschließend die weltweite Wirtschaftskrise und das Thema Klimaschutz war plötzlich vom Tisch. So dürfe es diesmal nicht laufen, da sind sich Mojib und Tim einig. Vielmehr solle mit den Konjunkturpaketen im Rahmen der Coronakrise die notwendige Umstrukturierung unseres Wirtschaftens angestoßen, soziale Gerechtigkeit hergestellt und wirksamer Umwelt- und Klimaschutz vorangetrieben werden.

Das ganze Gespräch gibt es als Video oder als Audio-Podcast.

„Handeln lernen lernst du nicht am Schultisch“

„Handeln lernen lernst du nicht am Schultisch“ 2560 1290 C2C LAB

Cradle to Cradle (C2C) bedeutet unter anderem, die Potentiale des Menschen zu nutzen und ihn als Chance zu sehen. Darin stimmt auch unser LAB Talk-Gast vom 11. Juni, Margret Rasfeld, mit uns überein. Die ehemalige Lehrerin und Schulleiterin sowie Mitbegründerin von Schule im Aufbruch spricht von einer anderen Art der Schule, in der der Mensch über dem Lernstoff steht. Kinder seien kluge Wesen, sagte Rasfeld. Sie seien kreativ und hätten viel Potential. Sie wollten sich einbringen und sollten überall mit einbezogen werden. Kinder dürften nicht degradiert werden, um Standards zu erfüllen, so die ehemalige Lehrerin.

Anfang der 1990er schaute sich Rasfeld die Agenda 21, dem Aktionsplan der Vereinten Nationen mit Leitlinien für das 21. Jahrhundert, vor allem zur nachhaltigen Entwicklung, genauer an. Sie fragte sich, was die Inhalte der Kapitel zu Bildung sowie Kinder- und Jugendpartizipation genau bedeuten sollen. Sie wurde inspiriert, unter anderem vom Weltaktionsplan Bildung für Nachhaltige Entwicklung von der UNESCO, dessen Inhalte sie noch in ihrer heutigen Arbeit begleiten und auch bei Schule im Aufbruch eine wichtige Rolle spielen. Dazu gehören Verantwortungsübernahme für sich selbst, für die Mitmenschen und für unseren Planeten.

„Handeln lernen lernst du nicht am Schultisch“, sagte Rasfeld im LAB Talk. Umso wichtiger seien Projektarbeiten und die Partizipation der Schüler*innen, die sie im Gespräch oft erwähnte. Genau diese Punkte spielen auch eine wichtige Rolle, um Cradle to Cradle in die Schulen zu bringen. Kinder müssen und möchten inspiriert werden und können so von C2C erfahren. Das kann beispielsweise durch einen kurzen Erklärfilm geschehen oder durch „Produkt“beispiele. Kinder können gemeinsam mit Lehrer*innen neue Projekte entwickeln und dabei ihren eigenen Fragen selbst nachgehen und forschen. Vor allem in Schulen, die „Projektlernen“ anbieten, könne C2C laut Rasfeld so einfach mit einbezogen werden. Aber jede*r Lehrer*in hätte auch die Möglichkeit, C2C selbst im Unterricht einzubinden: Nachdem C2C kurz erklärt wird, führen Schüler*innen Interviews oder erstellen selbst einen Film – auch das sei Deutschunterricht, so Rasfeld. Auf diesem Weg könnten die unterschiedlichsten Themen den verschiedenen Fächern eingebracht werden. Damit das geschieht, sind sich Nora und Rasfeld einig, müssen wir mutig sein. Es gebe viele Menschen, die etwas verändern möchten – sei es in der Bildung oder im Bereich C2C. Der wichtigste Schritt aber sei, diese Änderungswünsche ansprechen – und dann auch aktiv zu werden.

Das ganze Gespräch gibt es als Video oder als Audio-Podcast.

Reines Bier und müffelnde Shirts

Reines Bier und müffelnde Shirts 1024 768 C2C LAB

Bela B ist das wahrscheinlich bekannteste Mitglied in unserem Beirat. Dass der Künstler nicht nur sein Gesicht für unsere NGO hergibt, sondern sich wirklich mit Cradle to Cradle beschäftigt und von dem Konzept begeistert ist, zeigte sich im LAB Talk. Darin sprach er mit Tim unter anderem über Nachhaltigkeit in der Musikindustrie und was Bier und der Gestank neuer T-Shirts damit zu tun haben.  

Seit 2018 ist Bela B – stehender Schlagzeuger von Die Ärzte, Schauspieler und Autor – Mitglied in unserem Beirat. “Wenn du bekannt bist, hast du die Verantwortung, gute Ideen, von denen du überzeugt bist, nach außen zu tragen. Und das ist bei Cradle to Cradle bei mir der Fall”, begründete Bela im LAB Talk am 7. Mai seine Entscheidung, ehrenamtlich bei uns im Beirat mitzumachen.  Mit Cradle to Cradle sei er erstmals in Berührung gekommen, als er auf YouTube über einen Vortrag von C2C-Vordenker Michael Braungart gestolpert sei. Beim Anschauen sei ihm bewusst geworden: “Das ist eine positive Bewegung, die so viele Antworten auf all die Fragen hat, die ich mir manchmal stelle: Wo kommt eigentlich her, was wir essen? Und warum stinkt das neue T-Shirt, das so schön aussieht?” Es müsse uns als Gesellschaft darum gehen, die Erde zu erhalten. “Und C2C bietet mit dem positiven Fußabdruck den richtigen Ansatz dafür”, so Bela.  

Von der klimaneutralen Tour zur Landwirtschaft

Wie aber kann die Musikindustrie dazu beitragen, die Welt nach Cradle to Cradle zu gestalten? Richtig mit Ressourcen umzugehen und so Müll zu einem überflüssigen Konzept werden zu lassen? Ansätze gebe es da genügend, erzählte Bela. Beispielsweise klimaneutrale Tourneen, bei denen die Band Kompensationsleistungen für die eigenen CO2-Emissionen, zum Beispiel der Tourbusse, und die des Publikums erbringe. Ähnlich, wie die CO2-Emissionen von Flügen kompensiert werden können. Gemeinsam mit den Toten Hosen seien die Ärzte hier schon vor rund 15 Jahren aktiv geworden. Das könne man zwar als Ablasshandel bezeichnen, so Bela, aber “dann können wir Konzerte künftig nur noch Online machen”. Für ihn sei das keine Lösung – und auch für seine Band nicht, die zwar ein paar Prinzipien habe (keine Werbung machen und nicht mit der Bild-Zeitung reden), ansonsten aber nicht zu jenen gehöre, die immer und überall “dagegen” seien. “Davon gibt es schon genug, wir wollen positiv sein”. Auch das gehöre eben zu Cradle to Cradle.  

Tatsächlich unterscheidet sich Cradle to Cradle in genau diesem Punkt wesentlich von anderen Umwelt- und Klimaschutzansätzen, wie Tim im Gespräch klar machte. So verteufeln wir CO2 nicht pauschal, sondern sehen das positive an diesem Stoff. In den natürlichen Kreisläufen der Natur ist Kohlenstoffdioxid ein extrem wichtiger Rohstoff – mit dem wir Menschen nur komplett falsch umgehen. Wir pusten ihn in die Atmosphäre – und belassen ihn auch noch dort. Sinnvoll wäre es dagegen, ihn der Atmosphäre wieder zu entziehen und ihn in unsere Böden einzubringen. Böden mit höherem Kohlenstoffgehalt können mehr Nährstoffe und Wasser speichern und an Pflanzen abgeben – das Ergebnis wären gesündere Böden, und damit eine gesündere Landwirtschaft, sowie bessere Luft für uns Menschen und eine geringere Belastung für das Klima.

Vom Öko-Bandshirt zu CradletoCradle 

In Richtung Cradle to Cradle gehe es bei den Ärzten dafür in einem anderen Bereich. Früher hätten sich Bands nicht darum geschert, wo und wie beispielsweise Band-Shirts hergestellt wurden. Die Ärzte hätten sich über die Jahre aber immer mehr damit beschäftigt, “korrekte Ware”, wie Bela es nennt, anzubieten. “Und wenn man am Stand dazu schreibt, dass das Shirt 1,50 Euro mehr kostet, dafür aber klar ist, dass es aus einem nachhaltigen Wertstoff hergestellt wurde und die Leute fair bezahlt wurden, dann wird das verstanden”, so Bela. Und von Bio- und Fairtrade-Shirts kommend, gehe es immer weiter. “Wir arbeiten da jetzt enger mit euch zusammen und versuchen bei den Ärzten über das Merchandise in Richtung Cradle to Cradle zu gehen”, sagte Bela.  

Von der komplexen Botschaft zur Erkenntnis

Damit adressierte er auch gleich eine Frage aus dem virtuellen Publikum. Cradle to Cradle ist ein holistischer Ansatz, der die Klima- und Umweltprobleme dieser Welt von verschiedenen Ansatzpunkten aus adressiert. C2C auf einen Satz wie “reduziert den CO2-Ausstoß” oder “haltet die Gewässer sauber” zu verknappen, wird der Sache daher nicht gerecht. Wie also kann jemand wie Bela dazu beitragen, C2C bekannter zu machen? Über die Musik sei das schwierig, räumte Bela ein. Die sei im Bereich Rock und Pop nicht dazu geeignet, komplexe Botschaften zu verpacken. Das dürfe aber nicht davon abhalten, es auf anderem Wege zu versuchen. “Beispielsweise eben über das Merchandising. Bei großen Bands – oder auch großen Sportveranstaltungen – sprechen wir da von einem spürbaren Textilzweig. Und darüber kann so ein Thema in die Masse getragen werden”, ist sich Bela sicher.  

Er verstehe sich dabei auch als Botschafter. Auch er habe lange gedacht, T-Shirts, die aus recycelten Plastikflaschen hergestellt wurden, seien besonders “cradelig”. Heute wisse er, dass das Unsinn ist, weil sich die synthetischen Fasern nicht abbauen und damit das Müllproblem nur zeitlich nach hinten verschieben. Tatsächlich tragen die Abriebe synthetischer Fasern aus Textilien, etwa beim Waschen, erheblich zur Verschmutzung der Weltmeere mit Mikroplastik bei. Und die Verschmutzung von Gewässern ist Bela, der sich bei Viva con Agua auch für sauberes Trinkwasser weltweit einsetzt, ein großer Dorn im Auge.   

Oft ist es ja so, dass alltäglich Beispiele dabei helfen, solche Zusammenhänge in den Köpfen der Menschen zu verankern. So erklärte Tim, dass in einem Liter Bier schon bis zu 80 synthetische Fasern nachgewiesen werden konnten – und beim Bier, da waren sich Bela und Tim einig, höre ja zumindest in Deutschland für die meisten der Spaß auf.

Wie wollen wir in Zukunft leben?

Wie wollen wir in Zukunft leben? 2560 1920 C2C LAB

Ralf Fücks ist nicht nur Politiker der Grünen, sondern auch Gründer des Zentrums Liberale Moderne. Früher als Aktivist und später als Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung war er zudem stets Teil der Umweltbewegung. In unserem LAB Talk vom 30. April hat sich Fücks mit Nora über die unterschiedlichen Konflikte innerhalb der Umweltbewegung unterhalten und erklärt, warum wir kein Verständnis mehr von Fortschritt haben.

Auch wenn sich Ralf Fücks seit seiner Jugend für Umwelt- und Klimaschutz engagiert: Mit der Richtung, in die die Debatten innerhalb dieser Bewegung teilweise laufen, ist er nicht immer einverstanden. „Wir haben keine Vorstellung von Fortschritt mehr“, sagte er beim LAB Talk mit Nora. In der Umweltdebatte werde größtenteils Katastrophenabwehr nach dem Motto „die Zukunft ist eine Bedrohung“ diskutiert. Es werde nicht mehr agiert, sondern lediglich reagiert, waren sich Nora und Fücks einig. Notwendig sei eine neue Ökonomie der intelligenten Koproduktion, um Synergieeffekte mit der Umwelt zu schaffen, so Fücks. All das bietet Cradle to Cradle aus unserer Sicht: Lösungen für unsere aktuellen Probleme, ohne dabei die individuelle Freiheit durch Verbote einzuschränken. Trotzdem wird im Gespräch von Ralf Fücks und Nora deutlich, dass dies nicht das einzige Problem der aktuellen Umweltbewegung ist.

Wie Generationenkonflikte den öffentlichen Diskurs bestimmen

So beschäftigt Ralf Fücks auch der öffentlich ausgerufene Generationenkonflikt zwischen der jungen und der älteren Generation á la Greta gegen die alten weißen Männer. Der bestimme sowohl den Diskurs in der Umweltbewegung als auch den in der Coronakrise mit. Fücks zufolge fordert die junge Generation mehr Achtsamkeit und Veränderungswillen von der älteren Generation im Rahmen der Klimadebatte, während die ältere Generation wiederum mehr Achtsamkeit von den Jungen im Rahmen der Coronakrise erwartet. Im Gespräch sagte er, dass er keine Sonderbehandlung in Zeiten von Corona wolle und in der Umweltdebatte auch den pauschalen „Ihr habt versagt!“-Vorwurf an die Älteren für Nonsens halte. Da sowohl die Coronakrise als auch die Klimakrise globale Probleme sind, führten diese egozentrischen Konflikte zu nichts, stimmten Nora und Fücks überein.

Ein anderer Konflikt innerhalb der Umweltbewegung sei die Positionierung zu Globalisierung und Digitalisierung. Während für viele die Globalisierung als Wurzel allen Übels gilt, sieht Fücks diese als zivilisatorischen Fortschritt. Zwar verbreite sich so ein Virus in einer globalisierten Welt viel schneller, jedoch ist die globale Vernetzung für den Grünen-Politiker auch ein Segen in vielen Dingen, etwa bei der Entwicklung von Medizin. Was uns allerdings die aktuelle Situation mehr als verdeutliche, so Fücks, sei, dass wir krisenfeste Systeme brauchen. Insofern dürfe die Frage nicht sein, wie man die Globalisierung rückgängig machen könne. Sondern wie sie krisenfest gestaltet werden könne. Dies könnte Fücks zufolge aber auch dazu führen, krisenrelevante Güter wieder regionaler zu produzieren, um in Krisensituationen nicht abhängig von anderen Ländern wie China zu sein.

Ist die Coronakrise ein Modellfall für die Klimapolitik?

Definitiv sei die Coronakrise kein Modellfall, da ist sich der Gründer des Zentrums für Liberale Moderne mit Blick auf eine in Teilen der Umweltbewegung zuletzt häufig geäußerte These sicher. Einerseits, da im Zuge des Infektionsschutzes die individuellen Freiheiten enorm eingeschränkt würden und Fücks überzeugt ist, dass jeder Mensch die Chance haben sollte, sein Leben frei zu gestalten. Andererseits, weil die Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus nur an der Oberfläche kratzten und nicht grundlegend die Systeme veränderten. Was jedoch ihm zufolge benötigt wird, ist ein struktureller Wandel, um eine ökologische Transformation voranzutreiben. Cradle to Cradle – das bedeutet auch, Dinge neu zu denken. Warum sollte man, wie einige aus der Umweltbewegung fordern, das Fliegen verbieten? Fliegen sei insbesondere in Zeiten, in denen die Kinder, wie bei Fücks der Fall, über die Welt verstreut leben, ein wichtiges Kulturgut. Wir brauchten daher kein Verbot, keine Reduktion. Sondern ein neues Verständnis von Fortschritt. Einen Fortschritt, der Fliegen neu erfinde und umweltverträglich gestalte. Denn anders als viele in der Umweltbewegung predigen, lösen Verbote und Verzicht der Cradle to Cradle Denkschule zufolge nicht die Ursache der Probleme, sondern bekämpfen lediglich deren Symptome.

Für uns als NGO gehört zu den von Fücks beschriebenen neuen ökonomischen Ansätzen auch, dass wir neue Preismodelle benötigen, die die ökologische Transformation ermöglichen. Kritiker bemängeln oft, dass umweltverträgliche Produkte zu teuer seien. Dem liegt für uns jedoch ein falsches Verständnis zu Grunde. Wie Nora im Gespräch erklärte, spiegeln die Preise für Güter in unserem aktuellen Wirtschaftssystem die Schadschöpfung nicht wider. Würden die Kosten des Schadens, den ein Produkt an der Umwelt verursacht, mit einkalkuliert und müssten die Unternehmen für diese Schäden an Mensch und Umwelt zahlen, hätten sie kein ökonomisches Interesse mehr daran, so wie derzeit weiter zu produzieren, so Nora. Trotzdem sollte man „nicht unterschätzen, inwieweit die ökologische Transformation in einer Industriegesellschaft mit sehr hohen Investitionen verbunden“ ist, mahnte Fücks. Aber auch wegen dieser benötigten Investitionen seien Umweltbewegungen wie Degrowth keine Lösung, da dadurch Investitionen zurück gingen.

Die aktuelle Situation rund um Corona findet der Grünen-Politiker gefährlich für die Finanzierung der ökologischen Transformation. Zwar könne man die benötigten Konjunkturprogramme für eben diese Transformation nutzen. Allerdings sei eine gewaltige Steigerung der Staatsverschuldung durch die Coronakrise zu erwarten – und Verluste bei den Unternehmen. Gleichzeitig litten die privaten Haushalte unter Kurzarbeit und die private Kaufkraft gehe zurück. Insgesamt würden so die benötigten Investitionen zurückgehalten oder blieben komplett aus. Man könnte sagen, wir „verschießen momentan unser gesamtes Pulver“, so Fücks. Die Frage, wie man die benötigten Mittel für unsere Umwelt aufbringt, erfordert für ihn eine Priorisierung der Investitionen. Viele Vertreter*innen der Umweltbewegung hatten gefordert, Unternehmen wie die Lufthansa bankrott gehen zu lassen. Dies sei jedoch nicht nur aus umwelttechnischen Gesichtspunkten zu bewerten, so Fücks, da dies viele Menschen den Job gekostet hätte.

Letztlich sei es auch keine Lösung, umweltschädliche Bereiche stillzulegen. Auch Cradle to Cradle will Wege finden, umweltschädliche Bereiche umweltverträglich zu gestalten.

Über Nationalismus, Müllverbrennungsanlagen und internationale Zusammenarbeit

Unser derzeitiges Produktions- und Wirtschaftssystem ist nicht zukunftsfähig, stimmten Nora und Fücks im Gespräch überein. Neben struktureller Probleme verlangten uns die Corona- und die Klimakrise auch politisch einiges ab. Nationalismus sei derzeit ein weltweit erstarkendes Problem. Autoritäre Regime priesen sich als handlungsfähiger als Demokratien in Krisenzeiten an. Dabei berge die Rückbesinnung auf das nationale nur weitere Schwierigkeiten, da unsere Krisen globaler Natur seien, so Fücks. Vielmehr sei eine Art Club-Governance von Nöten, ein Zusammenschluss von Vorreiterstaaten in Sachen Umweltpolitik für gemeinsame Entscheidungen. Man könne nicht warten bis alle 195 Staaten sich auf einen gemeinsamen Kurs geeinigt hätten. Auch müsse sich die Art der internationalen Zusammenarbeit ändern. Wenn die in Sachen Umweltpolitik weiterhin darin bestehe, Müllverbrennungsanlagen oder direkt den Müll zu exportieren, dann werde das strukturelle Problem nicht gelöst. Es gelte, echte Win-Win-Situationen zu schaffen, bei denen kein Land auf Kosten eines anderen profitiere. Ralf Fücks sieht die Europäische Union im Zuge dessen als Modellfall und positives Beispiel für globale Kooperation. Und wenn die Europäische Union scheitert, da ist sich Ralf Fücks sicher, dann schaffen wir es nie, eine internationale erfolgreiche Umweltpolitik zu gestalten.

Hält Corona uns in der Erreichung umweltpolitischer Ziele auf? Als Optimist ist Ralf Fücks überzeugt, dass unser Bewusstsein für die Krisenanfälligkeit des Systems steigt und somit auch die Bereitschaft, die ökologische Transformation anzugehen. Was wir ihm zufolge brauchen ist eine intelligentere Ökonomie, ein „nach vorne Denken“, das sich nicht im Klein-Klein des Nationalismus oder in Katastrophenabwehr der Zukunft verliert. Nicht zuletzt auch mit Cradle to Cradle.

Ein ökosystemrelevantes Update ist verfügbar

Ein ökosystemrelevantes Update ist verfügbar 1366 976 C2C LAB

Dieser Text ist in leicht abgeänderter Form unter dem Titel “Wiederverwenden statt wegwerfen” als Gastkommentar in der Frankfurter Rundschau (Ausgabe 26. Mai 2020, Seite 10, sowie online) erschienen. Eine Langfassung des Textes ist hier verfügbar

Von Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen

Die Coronakrise als Chance zu feiern wäre zynisch. Den Neustart, den sie verursacht, nicht für die Installation eines Updates zu nutzen, wäre fahrlässig. Dieses Update ist für unser Ökosystem höchst relevant — ökosystemrelevant. Es sieht eine Wirtschaft vor, in der nichts mehr auf dem Müll landet, sondern alles von der Wiege zur Wiege geht: „Cradle to Cradle“ (C2C).

In einer solchen Welt existiert das menschengemachte Konzept „Müll“ nicht mehr. Sämtliche Produkte werden so designt, dass alle Bestandteile biologisch abbaubar sind oder sortenrein getrennt und bei gleicher Qualität endlos wiederverwertet werden können. Statt das Falsche zu reduzieren, haben wir angefangen, das Richtige zu produzieren. In dieser Welt ist der Gedanke, sich so zu verhalten, als gäbe es uns nicht — etwa „klimaneutral“ — absurd.

Was utopisch klingen mag, ist für alle anderen Lebewesen auf der Erde völlig normal. Doch auch bei uns Menschen existieren schon jetzt zehntausende Produktbeispiele, die aus gesunden und kreislauffähigen Materialien bestehen: Teppiche, die die Raumluft reinigen, trinkbares Putzmittel oder Gebäude, die mehr Energie produzieren als sie verbrauchen. Um aber die Ökosystemrelevanz des C2C-Updates aufzuzeigen, reicht schon ein einziges simples Beispiel: Sitzbezüge. Herkömmlicherweise bestehen sie aus synthetischen Fasern, die zahlreiche Schadstoffe enthalten – allen voran höchst problematische Flammschutzmittel. Sobald wir uns aufs Sofa oder ins Auto setzen, reiben wir diese Schadstoffe vom Bezug ab und atmen sie dann ein — inzwischen sind sie in Muttermilch und am Nordpol nachweisbar. Nach dem kurzen Dasein als Sitzbezug werden diese Textilien als Sondermüll verbrannt – genauso wie unzählige andere Kleidungsstücke, Taschen oder Vorhänge, die für Hautkontakt völlig ungeeignet sind.

Ökologischer Unsinn und ökonomischer Wahnsinn

Hier trifft ökologischer Unsinn auf ökonomischen Wahnsinn: Gewinne, die so erzielt werden, landen auf privaten Konten. Doch die ökologischen Schäden und die Verschwendung begrenzter Rohstoffe zahlen wir alle. Wäre dieser Raubbau im Preis berücksichtigt, wären solche Textilien geradezu aberwitzig teuer. Genau das ist im C2C-Update vorgesehen: Unternehmen müssen für die Umweltschäden, die sie verursachen, zur Kasse gebeten werden! Dann können Kund*innen entscheiden, ob sie realistisch-horrende Endpreise zahlen — oder ob sie lieber zu C2C-Produkten greifen, die ökologisch durchdacht und dadurch ökonomisch unschlagbar sind.

Der Abrieb von C2C-Textilien ist biologisch abbaubar, und damit übrigens auch für Hautkontakt geeignet. Beim Anbau ihrer Fasern werden Ackerböden nicht ausgelaugt, sondern aufgebaut. Textilverschnitte dienen als Torfersatz. Ihre gesamte Produktionskette ist klimapositiv und ermöglicht die endlose Wiederverwertung von Rohstoffen.

Die derzeit übliche Praxis ist das exakte Gegenteil davon: Cradle to Grave — früher oder später landet alles auf dem Müll. Das vergiftet Gewässer, Böden und Lebewesen, schafft Fluchtursachen und verschärft Generationenkonflikte. Dieses fragile System wird von der Coronakrise hart getroffen: Wertschöpfungsketten brechen zusammen, eine Rezession historischen Ausmaßes droht. Dass Unternehmen mit Liquiditätssicherungen durch eine Krise gerettet werden, die sie nicht verursacht haben, ist verständlich. Nicht verständlich hingegen sind Konjunkturprogramme für Technologien, die schon heute von gestern sind. Umweltzerstörerische Produktionsweisen dürfen nicht länger mit Steuergeldern subventioniert werden! Stattdessen müssen wir genau jetzt den Fortschrittsmotor anwerfen, indem wir ökonomische Anreize für ökologische Innovationen setzen.

Der Green Deal als Werkzeug

Für die Installation des C2C-Updates ist der Green Deal der EU daher ein großartiges Tool. Die Summe von etwa einer Billion Euro darf dabei wirklich nur jenen Unternehmen zum ökonomischen Vorteil werden, die ökologische Vorteile schaffen. Unternehmen, die nicht mit der Zeit gehen, müssen eben mit der Zeit gehen. In einer Welt mit wachsender Bevölkerung brauchen wir nicht weniger Konsum, Technologie und Wirtschaft, sondern bessere Formen davon. Statt also darüber zu reden, was wir reduzieren wollen, sollten wir uns positive Ziele setzen: Wie können wir Lebensräume gesund und lebenswert gestalten? Welche Technologien ermöglichen uns ein positives Dasein als Nützlinge der Erde?

Irren ist menschlich; die Irrtümer unserer jetzigen Wirtschaftsweise schwimmen als Müllkontinente im Meer. Ebenso menschlich ist es aber auch, Fehler zu korrigieren. Dafür müssen wir nach dem Vorbild der Natur wirtschaften und alles in endlosen Kreisläufen zirkulieren lassen. So können wir gut leben und dabei in eine positive Zukunft schauen. Das ökosystemrelevante C2C-Update steht zur Installation bereit.

Über die Autor*innen:

Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen sind Mitgründer*in und geschäftsführende Vorständin/Vorstand der spendenfinanzierten und gemeinnützigen Nichtregierungsorganisation Cradle to Cradle NGO (C2C NGO).

Bildquelle: Frankfurter Rundschau

Wie wollen wir in Zukunft leben?

Wie wollen wir in Zukunft leben? 1024 768 C2C LAB

Ralf Fücks ist nicht nur Politiker der Grünen, sondern auch Gründer des Zentrums Liberale Moderne. Früher als Aktivist und später als Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung war er zudem stets Teil der Umweltbewegung. In unserem LAB Talk vom 30. April hat sich Fücks mit Nora über die unterschiedlichen Konflikte innerhalb der Umweltbewegung unterhalten und erklärt, warum wir kein Verständnis mehr von Fortschritt haben.

Auch wenn sich Ralf Fücks seit seiner Jugend für Umwelt- und Klimaschutz engagiert: Mit der Richtung, in die die Debatten innerhalb dieser Bewegung teilweise laufen, ist er nicht immer einverstanden. „Wir haben keine Vorstellung von Fortschritt mehr“, sagte er beim LAB Talk mit Nora. In der Umweltdebatte werde größtenteils Katastrophenabwehr nach dem Motto „die Zukunft ist eine Bedrohung“ diskutiert. Es werde nicht mehr agiert, sondern lediglich reagiert, waren sich Nora und Fücks einig. Notwendig sei eine neue Ökonomie der intelligenten Koproduktion, um Synergieeffekte mit der Umwelt zu schaffen, so Fücks. All das bietet Cradle to Cradle aus unserer Sicht: Lösungen für unsere aktuellen Probleme, ohne dabei die individuelle Freiheit durch Verbote einzuschränken. Trotzdem wird im Gespräch von Ralf Fücks und Nora deutlich, dass dies nicht das einzige Problem der aktuellen Umweltbewegung ist.

Wie Generationenkonflikte den öffentlichen Diskurs bestimmen

So beschäftigt Ralf Fücks auch der öffentlich ausgerufene Generationenkonflikt zwischen der jungen und der älteren Generation á la Greta gegen die alten weißen Männer. Der bestimme sowohl den Diskurs in der Umweltbewegung als auch den in der Coronakrise mit. Fücks zufolge fordert die junge Generation mehr Achtsamkeit und Veränderungswillen von der älteren Generation im Rahmen der Klimadebatte, während die ältere Generation wiederum mehr Achtsamkeit von den Jungen im Rahmen der Coronakrise erwartet. Im Gespräch sagte er, dass er keine Sonderbehandlung in Zeiten von Corona wolle und in der Umweltdebatte auch den pauschalen „Ihr habt versagt!“-Vorwurf an die Älteren für Nonsens halte. Da sowohl die Coronakrise als auch die Klimakrise globale Probleme sind, führten diese egozentrischen Konflikte zu nichts, stimmten Nora und Fücks überein.

Ein anderer Konflikt innerhalb der Umweltbewegung sei die Positionierung zu Globalisierung und Digitalisierung. Während für viele die Globalisierung als Wurzel allen Übels gilt, sieht Fücks diese als zivilisatorischen Fortschritt. Zwar verbreite sich so ein Virus in einer globalisierten Welt viel schneller, jedoch ist die globale Vernetzung für den Grünen-Politiker auch ein Segen in vielen Dingen, etwa bei der Entwicklung von Medizin. Was uns allerdings die aktuelle Situation mehr als verdeutliche, so Fücks, sei, dass wir krisenfeste Systeme brauchen. Insofern dürfe die Frage nicht sein, wie man die Globalisierung rückgängig machen könne. Sondern wie sie krisenfest gestaltet werden könne. Dies könnte Fücks zufolge aber auch dazu führen, krisenrelevante Güter wieder regionaler zu produzieren, um in Krisensituationen nicht abhängig von anderen Ländern wie China zu sein.

Ist die Coronakrise ein Modellfall für die Klimapolitik?

Definitiv sei die Coronakrise kein Modellfall, da ist sich der Gründer des Zentrums für Liberale Moderne mit Blick auf eine in Teilen der Umweltbewegung zuletzt häufig geäußerte These sicher. Einerseits, da im Zuge des Infektionsschutzes die individuellen Freiheiten enorm eingeschränkt würden und Fücks überzeugt ist, dass jeder Mensch die Chance haben sollte, sein Leben frei zu gestalten. Andererseits, weil die Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus nur an der Oberfläche kratzten und nicht grundlegend die Systeme veränderten. Was jedoch ihm zufolge benötigt wird, ist ein struktureller Wandel, um eine ökologische Transformation voranzutreiben. Cradle to Cradle – das bedeutet auch, Dinge neu zu denken. Warum sollte man, wie einige aus der Umweltbewegung fordern, das Fliegen verbieten? Fliegen sei insbesondere in Zeiten, in denen die Kinder, wie bei Fücks der Fall, über die Welt verstreut leben, ein wichtiges Kulturgut. Wir brauchten daher kein Verbot, keine Reduktion. Sondern ein neues Verständnis von Fortschritt. Einen Fortschritt, der Fliegen neu erfinde und umweltverträglich gestalte. Denn anders als viele in der Umweltbewegung predigen, lösen Verbote und Verzicht der Cradle to Cradle Denkschule zufolge nicht die Ursache der Probleme, sondern bekämpfen lediglich deren Symptome.

Für uns als NGO gehört zu den von Fücks beschriebenen neuen ökonomischen Ansätzen auch, dass wir neue Preismodelle benötigen, die die ökologische Transformation ermöglichen. Kritiker bemängeln oft, dass umweltverträgliche Produkte zu teuer seien. Dem liegt für uns jedoch ein falsches Verständnis zu Grunde. Wie Nora im Gespräch erklärte, spiegeln die Preise für Güter in unserem aktuellen Wirtschaftssystem die Schadschöpfung nicht wider. Würden die Kosten des Schadens, den ein Produkt an der Umwelt verursacht, mit einkalkuliert und müssten die Unternehmen für diese Schäden an Mensch und Umwelt zahlen, hätten sie kein ökonomisches Interesse mehr daran, so wie derzeit weiter zu produzieren, so Nora. Trotzdem sollte man „nicht unterschätzen, inwieweit die ökologische Transformation in einer Industriegesellschaft mit sehr hohen Investitionen verbunden“ ist, mahnte Fücks. Aber auch wegen dieser benötigten Investitionen seien Umweltbewegungen wie Degrowth keine Lösung, da dadurch Investitionen zurück gingen.

Die aktuelle Situation rund um Corona findet der Grünen-Politiker gefährlich für die Finanzierung der ökologischen Transformation. Zwar könne man die benötigten Konjunkturprogramme für eben diese Transformation nutzen. Allerdings sei eine gewaltige Steigerung der Staatsverschuldung durch die Coronakrise zu erwarten – und Verluste bei den Unternehmen. Gleichzeitig litten die privaten Haushalte unter Kurzarbeit und die private Kaufkraft gehe zurück. Insgesamt würden so die benötigten Investitionen zurückgehalten oder blieben komplett aus. Man könnte sagen, wir „verschießen momentan unser gesamtes Pulver“, so Fücks. Die Frage, wie man die benötigten Mittel für unsere Umwelt aufbringt, erfordert für ihn eine Priorisierung der Investitionen. Viele Vertreter*innen der Umweltbewegung hatten gefordert, Unternehmen wie die Lufthansa bankrott gehen zu lassen. Dies sei jedoch nicht nur aus umwelttechnischen Gesichtspunkten zu bewerten, so Fücks, da dies viele Menschen den Job gekostet hätte.

Letztlich sei es auch keine Lösung, umweltschädliche Bereiche stillzulegen. Auch Cradle to Cradle will Wege finden, umweltschädliche Bereiche umweltverträglich zu gestalten.

Über Nationalismus, Müllverbrennungsanlagen und internationale Zusammenarbeit

Unser derzeitiges Produktions- und Wirtschaftssystem ist nicht zukunftsfähig, stimmten Nora und Fücks im Gespräch überein. Neben struktureller Probleme verlangten uns die Corona- und die Klimakrise auch politisch einiges ab. Nationalismus sei derzeit ein weltweit erstarkendes Problem. Autoritäre Regime priesen sich als handlungsfähiger als Demokratien in Krisenzeiten an. Dabei berge die Rückbesinnung auf das nationale nur weitere Schwierigkeiten, da unsere Krisen globaler Natur seien, so Fücks. Vielmehr sei eine Art Club-Governance von Nöten, ein Zusammenschluss von Vorreiterstaaten in Sachen Umweltpolitik für gemeinsame Entscheidungen. Man könne nicht warten bis alle 195 Staaten sich auf einen gemeinsamen Kurs geeinigt hätten. Auch müsse sich die Art der internationalen Zusammenarbeit ändern. Wenn die in Sachen Umweltpolitik weiterhin darin bestehe, Müllverbrennungsanlagen oder direkt den Müll zu exportieren, dann werde das strukturelle Problem nicht gelöst. Es gelte, echte Win-Win-Situationen zu schaffen, bei denen kein Land auf Kosten eines anderen profitiere. Ralf Fücks sieht die Europäische Union im Zuge dessen als Modellfall und positives Beispiel für globale Kooperation. Und wenn die Europäische Union scheitert, da ist sich Ralf Fücks sicher, dann schaffen wir es nie, eine internationale erfolgreiche Umweltpolitik zu gestalten.

Hält Corona uns in der Erreichung umweltpolitischer Ziele auf? Als Optimist ist Ralf Fücks überzeugt, dass unser Bewusstsein für die Krisenanfälligkeit des Systems steigt und somit auch die Bereitschaft, die ökologische Transformation anzugehen. Was wir ihm zufolge brauchen ist eine intelligentere Ökonomie, ein „nach vorne Denken“, das sich nicht im Klein-Klein des Nationalismus oder in Katastrophenabwehr der Zukunft verliert. Nicht zuletzt auch mit Cradle to Cradle.

Eine C2C-Modellkommune zum Ausprobieren, Anfassen und Anschauen

Eine C2C-Modellkommune zum Ausprobieren, Anfassen und Anschauen 2560 1920 C2C LAB

Die CradletoCradle-Community ist geprägt von Pionier*innen, engagierten Menschen und Überzeugungstäter*innen. Dazu zählt auch Helge Viehweg, Bürgermeister der C2C-Modellkommune Straubenhardt. Mit ihm sprach unsere Geschäftsführende Vorständin Nora am 16. April bei unserem digitalen LAB Talk. Was können Städte und Kommunen zu C2C beitragen? Was macht eine Gemeinde oder Kommune aus? Und wo liegen die größten Herausforderungen bei der Implementierung von C2C in einer Region? Das waren nicht nur Fragen, die dem Bürgermeister und Nora auf dem Herzen lagen, sondern die auch von den Zuschauenden gestellt wurden. 

Inspiriert von einem Vortrag von C2C-Vordenker Prof. Michael Braungart bei der IHK, trug Helge Viehweg die Idee von C2C in seinen Gemeinderat und konnte überzeugen. Wichtig waren dabei vor allem Aspekte, die Straubenhardt ausmachen und in Zukunft ausmachen sollen. Wie kann Straubenhardt, eingekreist von größeren und wirtschaftlich stärkeren Städten wie Pforzheim, besser in den Mittelpunkt gestellt werden? Ein Innovations- und Qualitätskonzept wie C2C liege da natürlich nah. Wie Viehweg beim LAB Talk betonte, möchte die Gemeinde nicht weiter Gebäude für die Müllhalde bauen, die schon beim Betrieb die Umwelt belasten. Das erste Projekt ist daher ein Feuerwehrhaus nach C2C. Der Neubau ist seit März 2019 im Gange. Daneben achte die Gemeinde beim Kauf von Büromöbeln, Büromaterial und Putzmitteln auf ökologische Standards, erzählte Viehweg. Das ist aber nur der Anfang – Straubenhardt hat sich hohe Ziele gesetzt, bei denen auch wir als NGO unterstützen und beraten. Ziel ist, ein Alleinstellungsmerkmal zu generieren, das zu Gemeinde und Lage passt: Gesunde Arbeitsplätze, glückliche Bewohner*innen, Produktion, Gewerbe und Industrie im Einklang mit der Natur, Innovation und hohe Lebensqualität sowie Wertsicherheit. Dass Straubenhardt einen offenen Gemeinderat hat, durfte auch Nora mitbekommen: “Ich habe gesehen wie viele Menschen vor Ort sich engagieren, Herzblut mit einbringen und sagen, sie wollen die Gemeinde gestalten und dazu beitragen, nicht nur weniger schlecht zu sein – sondern einen positiven Fußabdruck zu hinterlassen. Das finde ich beeindruckend.“ 

Dass es trotzdem nicht immer einfach ist, als Pionier*in voranzuschreiten, zeigte sich ebenfalls im Gespräch: Laut Viehweg wird von Verantwortlichen in den Kommunen häufig zu typisch deutsch gedacht, dadurch zu viel hinterfragt, zu perfektionistisch gedacht und nur die Probleme gesehen. “Und wenn wir uns davon frei machen – und ich muss gestehen, dass hat auch bei mir eine ganze Weile gedauert – und uns darauf einlassen, Dinge auszuprobieren und zu sagen ‘wir versuchen das’, dann haben wir in den Kommunen tatsächlich riesige Chancen”, so Viehweg. Es reiche nicht zu fragen: Was kostet ein Gebäude? Es gehe darum, was ein Gebäude bringe und was die herkömmliche Bauweise in der Vergangenheit nicht gebracht hat. Umweltschäden und die Entsorgung sind nämlich bisher nicht in Baukosten eingepreist – dafür zahlt die Gesellschaft, ohne an den Gewinnen von Bauunternehmen und Immobilienfirmen beteiligt zu werden. C2C sei da vielleicht die ehrlichere Betrachtung, so Viehweg. Die Kosten, die am Anfang eines C2C-Gebäudes stehen, seien vielleicht höher als beim konventionellen Bau. Später seien jedoch das Gebäude und seine Einzelteile wiederverwertbar. Durch den Wegfall von Entsorgungskosten würden die Lebenszykluskosten eines C2C-Gebäudes daher im Vergleich geringer – um beim Beispiel Bausektor zu bleiben. 

Nora betonte ebenfalls, dass die Gesamtkosten betrachtet werden müssen. Für einige sei die Coronakrise eine Ausrede, um beispielsweise die Klimaziele zu pausieren, damit Geld gespart wird. Nora stellte heraus, dass die derzeitige Situation ein Startpunkt sein sollte, anders und neu zu Wirtschaften. Die Corona-Hilfsgelder, die jetzt in die Wirtschaft fließen, sollten Nora zufolge in Unternehmen und Produkte investiert werden, die ökologisch wirtschaften, die in ihren Geschäftsmodellen auch die langfristigen Effekte ihres Handelns für Mensch und Umwelt beachten. Dieser Ansatz sei auch auf Kommunen übertragbar. Kommunen zählten zu den größten Beschaffern des Landes. Vom Büromaterial über den Kaffee für die Behörden-Küchen bis hin zum kommunalen Bau. Für C2C NGO sind sie daher ein riesiger Hebel, um etwas zu verändern und sie sollten sich daher – auch in diesen Zeiten – überlegen, welche Beschaffungsrichtlinien sinnvoll sind. Welche Richtlinien die Kommunen selbst und damit die Gesellschaft langfristig weiterbringen. 

Und hier schließt genau ein Punkt an, der Viehweg besonders überzeugt hat: C2C ist ein Wirtschaftsmodell, in dem mit menschen- und umweltfreundlichen Produkten und so mit einem guten Gewissen Geld verdient werden kann. Und genau das möchte er auch für Straubenhardt: “Mit guten Produkte Gutes tun.” Politische Entscheidungen müssten abseits von Lobbyismus und ähnlichem getroffen werden. Und es dürfe auch kein Scheinsystem aufgebaut werden. Stattdessen müssten die Verantwortlichen – beispielsweise für Müll – zur Kasse gebeten werden. Im Gegenzug würden Projekte, die C2C berücksichtigen, in Straubenhardt zukünftig unterstützt. Ziel sei unter anderem ein Gewerbegebiet nach C2C. Dafür sei die Kommune mit Bauherren im Gespräch und komme bspw. mit den Grundstückspreisen entgegen, wenn C2C beim Bau berücksichtig werde. Dabei dürften aber nicht die Bürger*innen von Straubenhardt vergessen werden, so Viehweg. Denn ohne deren Akzeptanz sei die weitere Implementierung von C2C nicht möglich. In Zukunft werde versucht, der Bevölkerung anhand von kleineren Projekten bzw. Produkten C2C näher zu bringen. Denn wenn die Menschen sehen, dass Unternehmen wie Steelcase, Frosch oder Stabilo C2C schon umsetzen, sei C2C greifbarer für die Bevölkerung und zeige, dass es auch schon heute möglich ist, ist Viehweg überzeugt. 

Es sei wichtig, dass wir die Menschen zum Umdenken anregen – denn jede*r könne auch im Kleinen Bildungsarbeit machen. Jede*r könne die Frage stellen, ob ein Stift zum Schreiben gemacht ist oder ob das Papier durch ihn zu Sondermüll wird, so Nora. Aber natürlich gehe es auf kommunaler Ebene auch darum, C2C in die Schulen zu tragen, in die Kitas, in die öffentlichen Einrichtung. Darum an ganz vielen Stellen immer wieder das Umdenken voranzutreiben. Und dabei spielten Kommunen eine wichtige Rolle. 

Das ganze Gespräch könnt ihr auf YouTube anschauen. 

Von Obstbäumen, Corona-Hilfsgeldern und der Finanzierung von ökologischem Landbau

Von Obstbäumen, Corona-Hilfsgeldern und der Finanzierung von ökologischem Landbau 2560 1920 C2C LAB

Der Beirat unserer C2C NGO besteht aus Menschen, die Cradle to Cradle leben. Sie sind Unternehmer*innen, die sich mit ihrer beruflichen Expertise bei uns einbringen, oder aber Personen, denen Cradle to Cradle ein privates Anliegen ist. Das ist auch bei Nina Eichinger so. Die Münchnerin ist nicht nur Moderatorin, sondern auch Umweltwissenschaftlerin mit einer Ausbildung in Permakultur. Am Donnerstag, den 9. April, war Nina zu Gast im LAB Talk und unterhielt sich mit Tim unter anderem über Umwelt- und Klimaschutz in Corona-Zeiten und die Notwendigkeit von Cradle to Cradle in der Landwirtschaft. 

Weil durch die Coronakrise sämtliche Moderations-Jobs abgesagt wurden, hat es sich Nina Eichinger in den vergangenen Wochen mit ihrer Familie auf dem heimischen Hof gemütlich gemacht. Von dort aus war sie live im C2C LAB zugeschalten und hat sich eine Stunde Zeit für das Gespräch mit Tim und die Fragen der Zuschauer*innen genommen. Sie habe Obstbäume gepflanzt und arbeite, weil es viel zu trocken für die Jahreszeit ist, an einem ausgeklügelten Schlauchsystem zur Bewässerung der neuen Pflanzen. Außerdem koche sie viel und kümmere sich um ihre Pferde. 

Außerdem hat Nina nun mehr Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Krise unser aller Leben und unsere Wirtschaft verändert. Für sie ist der Zeitpunkt der richtige, um bisherige Systeme und Herangehensweisen zu überdenken. “Das Corona-Virus kommt von Wildtieren. Weil wir deren Lebensräume zerstören, um dort Ressourcen zu heben, springt es auf der Suche nach einem neuen Wirt auf uns Menschen über. Virologen sagen seit Jahren, dass wir diese Lebensräume erhalten müssen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen solchen Krisen und Klima- und Umweltschutz und das muss bei den Menschen endlich ankommen”, sagte Nina im Gespräch.  

Dass nun Konferenzen wie der Weltklimagipfel in Glasgow nach hinten verschoben werden mache ihr – bei allem Verständnis für den notwendigen Schutz der Teilnehmer*innen – vor diesem Hintergrund Angst. Ebenso die Verteilung von Hilfsgeldern in der Krise. “Die Notgelder erhalten Unternehmen, von denen wir wissen, dass sie in die falsche Richtung wirtschaften”, kritisierte Nina, die unter anderem in San Diego und Lugano Umweltwissenschaften studiert hat und daran eine Ausbildung in Permakultur angeschlossen hat. Stattdessen müssten die Hilfen an Firmen gehen, die nachhaltig wirtschaften und in Kreisläufen denken, erläuterte sie auf eine Publikumsfrage hin.  

Für Cradle to Cradle NGO hängt damit auch direkt die Frage zusammen, wie Preise gestaltet werden und wie Unternehmenserfolg gemessen wird. “Wir benötigen eine neue Definition von Unternehmertum und eine echte Bepreisung von Produkten”, sagte Tim in dem Gespräch. Dazu gehöre, Schäden an Menschen und der Umwelt einzupreisen, damit diese künftig vom Verursachenden und nicht wie bisher, von der Allgemeinheit getragen werden.  

Echte Preise statt ausgelaugter Böden 

Eine reale Bepreisung ist Nina zufolge insbesondere auch in der Landwirtschaft dringend notwendig. Permakultur habe ihr Interesse geweckt, weil es sich dabei im Prinzip um eine Kreislaufwirtschaft ohne Müll handele. “Das Ergebnis ist eine Landwirtschaft und Landschaften, von denen alle profitieren”, sagte sie. Leider hätten Landwirt*innen im Allgemeinen einen schlechten Ruf – insbesondere bei vielen Umweltschutzorganisationen. Für Nina ist dieser Ruf nicht gerechtfertigt, da außer Acht gelassen werde, unter welchen politischen Rahmenbedingungen viele Landwirt*innen arbeiteten. “Die Höfe müssen beispielsweise bei der Viehhaltung immer mehr aus den Tieren rausholen, um Subventionen zu erhalten. Also kauft der Landwirt 40 Kühe mehr, um überhaupt überleben zu können”, erklärte sie. Es brauche daher mehr Mut, ökologischen Landbau nach dem Kreislaufprinzip in die Breite zu bringen. Und dazu gehöre auch, dass Landwirt*innen Hilfen und Finanzierung erhalten, um ihre Höfe dahingehend umzustellen.  

Auch hier spielt Tim zufolge wieder die Bepreisung eine enorm wichtige Lenkungsrolle. “Bei realen Preisen würde sich die aktuelle Landwirtschaft überhaupt nicht mehr lohnen, weil die Auslaugung der Böden viel zu teuer wäre”, sagte er. Dass Deutschland als Flächen- und Agrarland bezüglich der Gesundheit der Böden in Europa Schlusslicht ist, regt Nina immer wieder auf. “Das ist echt peinlich”, sagte sie. Umso wichtiger sei es, Gesetzesvorhaben wie den Aktionsplan Kreislaufwirtschaft auf europäischer Ebene nun weiter voranzutreiben. Die jetzige Krise sei eine Chance, Wirtschaft und Gesellschaft beim Aufbau holistisch zu begreifen und die Dinge künftig richtig zu machen. 

Das ganze Gespräch ist in unserem YouTube-Channel zu finden.

C2C LAB Feierliche Eröffnung & C2C Summit

C2C LAB Feierliche Eröffnung & C2C Summit 1000 667 C2C LAB

Das C2C LAB wurde vergangene Woche mit einer Doppelveranstaltung (10. und 11.09.2019) eingeweiht. Die feierliche Eröffnung fand am 10.09 mit 100 hochrangigen Gästen statt: Regine Günther (Berliner Umweltsenatorin) und Canan Bayram (MdB) sprachen Grußwörter; Florian Pronold (Parlamentarischer Staatssekretär, BMU) und Klaus Mindrup (MdB) Impulsvorträge und Matthias Horx (Trend- & Zukunftsforscher) die Festrede.

Der C2C Summit am 11.09 stand unter dem Thema Bau und Architektur: Katrin Lompscher (Berliner Bausenatorin) eröffnete die ganztätige Veranstaltung mti 150 Fachbesucher*innen mit einem Grußwort. Im Fokus standen folgende Fragen: Vor welchen Herausforderungen steht die Bauwirtschaft bei der Implementierung von Cradle to Cradle? Wie ist innovatives Bauen bereits heute möglich? So lassen sich Gebäude als Materialbanken denken und umsetzen!

Weitere Infos zu den Veranstaltungen gibt es in der Pressemitteilung.

C2C LAB Feierliche Eröffnung 10.09.2019

C2C Summit: Bau & Architektur 11.09.2019

Der erste Partner war schnell gefunden

Der erste Partner war schnell gefunden 2560 1806 C2C LAB

Im Juli stand es dann fest. Unser erster Partner war begeistert von der Idee. Drees & Sommer sagte zu, uns mit der Planung und Prozessberatung für die Sanierung zu unterstützen.