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Birgit

Wie wir die Textilindustrie gemeinsam völlig verändern können

Wie wir die Textilindustrie gemeinsam völlig verändern können 2000 1333 C2C LAB

Wir haben nicht jeden Tag eine Trägerin des Alternativen Nobelpreises bei uns zu Gast. Bei unserem digitalen C2C Summit Textiles & Supply Chain am 28.01.2021 war das mit einer Keynote der Autorin, Wissenschaftlerin sowie Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin Dr. Vandana Shiva der Fall. Denn auf dem ganztägigen Summit ging es darum, wie die globale textile Wertschöpfungskette in Kreisläufe geführt werden kann, um so nicht nur Ressourcenverschwendung und Umweltschäden durch die Industrie  insbesondere in den Produktionsländern des Globalen Süden  zu beenden, sondern auch die sozialen Folgen daraus. 

Eines hat der C2C Summit mit Fokus auf den Globalen Süden ganz eindeutig gezeigt: Die globale Textilindustrie steht vor einem fundamentalen Wandel hin zu Kreislauffähigkeit und echter Nachhaltigkeit. Angesichts immer knapper werdender Ressourcen bei gleichzeitigem globalem Bevölkerungswachstum ist das der einzige Weg, zu positivem und gesundem Wachstum zu kommen. Mit Vertreter*innen von Unternehmen und NGOs sowie Politiker*innen diskutierten wir beim Summit jedoch nicht nur die Problemlage der Industrie, sondern auch Lösungen, die es bereits heute gibt. Zu der digitalen Veranstaltung hatten sich rund 300 Personen aus der Textilindustrie, der Politik, Verbänden und NGOs sowie der Zivilgesellschaft angemeldet.

Fast Fashion und Überproduktion führen zu wachsenden Müllbergen, richten Klimaschäden durch Treibhausgasemissionen an und verschwenden Ressourcen, sagte Dr. Maria Flachsbarth, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesentwicklungsministerium (BMZ) in ihrem Eingangsstatement. Zwischen 2000 und 2015 habe die globale Textilindustrie ihr Produktionsvolumen verdoppelt. Gleichzeitig stehe der Sektor für rund 10 Prozent aller CO2-Emissionen – das entspricht der Menge, die Deutschland, Russland und Japan zusammen emittieren. Auch angesichts des hohen Wasserverbrauchs des Sektors sei es „keine Überraschung, dass die Textilindustrie der weltweit zweitgrößte Verschmutzer ist“, so Flachsbarth. Mit den Umweltschäden und der Ressourcenverschwendung gingen negative Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen einher, die sich durch COVID-19 vergrößert hätten. Es brauche daher einen Textilsektor, der ein Minimum an Ressourcen verbrauche, die Entstehung von Müll vermeide und Fasern wiederverwerte, so die CDU-Politikerin.

“Cradle to Cradle kann uns dabei helfen, eine Kreislaufwirtschaft im Textilsektor zu erreichen. Der Ansatz, der den Produktionsprozess im Ganzen betrachtet und intelligentes Produktdesign nutzt, zielt auf geschlossene Kreisläufe ab. Das Konzept gewinnt in der Zusammenarbeit für nachhaltige Textilien immer mehr an Bedeutung, und auch bei der Entwicklung des Grünen Knopf, unserem staatlichen Siegel für nachhaltig produzierte Textilien“, so Flachsbarth abschließend.

Doch nicht nur der Umwelt- und Ressourcenaspekt spielt bei Cradle to Cradle als ganzheitlichem Ansatz eine Rolle, sondern auch, dass Materialien, die zu Textilien verarbeitet werden, frei von jeglichen Schadstoffen sind. Sie dürfen weder beim Tragen noch bei der Herstellung gesundheitliche Schäden hervorrufen. Das ist heute nicht der Fall. Bei Baumwolltextilien sorgen giftige Farbstoffe und Pigmente oder Prozesschemikalien dafür, dass sie gesundheitliche Schäden hervorrufen können. Bei synthetischen Fasern kommen Additive und Katalysatoren hinzu. Insgesamt ist der Großteil der Textilien auf dem Markt nicht für Hautkontakt geeignet. 

„Innerhalb einer globalen Wertschöpfungskette ist es wichtig, welche Qualität alle eingesetzten Substanzen haben – ob Fasern, Garne oder Farbstoffe. Wir brauchen Textilien, die für Hautkontakt gemacht sind und entweder im technischen oder im biologischen Kreislauf zirkulieren können. So können wir Ressourcenverschwendung und die Entstehung von Müll beenden. Insbesondere auch in jenen Produktionsländern des Globalen Süden, in denen die heutigen Umweltbelastungen durch die Textilindustrie direkte soziale Folgen haben”, so Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen. 

Im ersten Panel diskutierten Dr. Ulf Jaeckel, Leiter des Referats Nachhaltiger Konsum und produktbezogener Umweltschutz im Bundesumweltministerium (BMU), Simone Cipriani, Gründer der Ethical Fashion Initiative und Chairman der UN Alliance for Sustainable Fashion, Patrik Lundström, CEO & Gründer des Textilfaserrecyclers Renewcell und Rob Kragt, Leiter CSR Communications & Training Manager EMEA beim französischen Fußbodenbelagshersteller Tarkett über die Herausforderungen der Textilindustrie und darüber, welche Anpassungen es bei politischen Rahmenbedingungen braucht, um diese anzugehen. 

Echte Preise und Eigeninitiative 

Jaeckel sagte, das Bewusstsein, dass der Sektor nachhaltiger werden müsse sei in der Politik angekommen. Bei der Umsetzung von Maßnahmen müsse die gesamte Wertschöpfungskette adressiert werden. „Die EU-Strategie für nachhaltige Textilien, die zum Ende des Jahres stehen soll, wird genau dies abdecken“, so Jaeckel. Die Strategie befindet sich derzeit auf EU-Ebene in der Konsultationsphase. Eine Studie zur Kreislaufwirtschaft im Textilsektor, die Cradle to Cradle NGO gemeinsam mit Adelphi im Auftrag der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) für das BMZ erstellt hat, ist darin enthalten. Allerdings räumte Jaeckel ein, dass kreislauffähiges Design heute noch nicht in gesetzlichen Standards enthalten sei. Die staatlichen Siegel Blauer Engel und Grüner Knopf würden zwar gerade überarbeitet. Welche Kriterien dann einfließen hänge auch davon ab, welche Standards möglich seien und bevorzugt würden. „Wir sprechen dabei auch mit der Textilindustrie, denn wir wollen, dass diese die Standards auch akzeptiert“, so Jaeckel. Simone Cipriani zeigte sich zuversichtlich, dass diese Akzeptanz bei Kreislauffähigkeit und Cradle to Cradle gegeben wäre. „Bisher hat die Industrie ein paar Elemente von Nachhaltigkeit adaptiert, anstatt ihr Geschäftsmodell radikal zu ändern. Das ist aber nicht länger tragbar, denn eine gesamte Wertschöpfungskette lässt sich ohne einen systemischen Wandel nicht nachhaltig und kreislauffähig gestalten“, sagte er. Heute mache sich die Industrie erstmals Gedanken über diese Zusammenhänge, da COVID-19 alle Probleme der Branche verschärft habe. Für ihn muss politisch die Internalisierung externer Kosten, die durch Umwelt- und Gesundheitsschäden bisher der Gesellschaft angelastet werden, ganz oben auf der Agenda stehen. Damit, so Cipriani, könnten Investitionen großer Modekonzerne in echte Nachhaltigkeit sowie Konzerne, die sich nicht bemühten, ganz anders bewertet werden. Patrik Lundström verwies darauf, dass sich in diesem Jahrzehnt das Volumen von Textilfasern auf dem Markt von 110 auf 160 Millionen Tonnen erhöhen werde. Sein Unternehmen Renewcell sei heute der einzige Anbieter ausschließlich recycelter Zellulosefasern und verzeichne großes Interesse aus der Industrie und arbeite unter anderem mit H&M und Levis zusammen. “Aber wir sind nicht in der Lage, Recyclingkapazitäten in einem Maß aufzubauen, die das Wachstum von Fasern auf dem Markt erfordert. Das ist eine riesige Wachstumschance für Recyclingunternehmen, aber wir müssen dafür skalieren und dafür sind Investitionen in Fabriken nötig“, so Lundström. Es sei positiv, dass sich die EU mit besseren Sammel- und Recyclingsystemen für Textilien beschäftige. Sie müsse aber auch die dafür erforderliche Infrastruktur fördern. Rob Kragt von Tarkett appellierte indes an die Industrie, mutig mit kreislauffähigen Innovationen voran zu gehen. Die vollständig recycelbaren Teppichfliesen des Unternehmens seien ohne die eigentlich dafür erforderlichen politischen Rahmenbedingungen entwickelt worden. “Auch auf das Risiko hin, damit zunächst Geld zu verlieren. Wir brauchen Gesetze und müssen Verschmutzung und Gesundheitsschäden besteuern. Aber die Initiative zum Wandel kann innerhalb der Industrie entstehen“, so Kragt.

Im zweiten Panel lag der Fokus auf jenen Regionen, in denen für den weltweiten Textilkonsum Rohstoffe angebaut und verarbeitet werden. Aneel Kumar Ambavaram, Gründer & CEO der Kleinbauerninitiative Grameena Vikas Kendram in der indischen Provinz Andhra Pradesh und dem Programm RESET (Regenerate the Environment, Society & Economy through Textiles), Tina Stridde, Geschäftsführerin der Aid by Trade Foundation (Dachorganisation der Cotton made in Africa Initiative), Mansoor Bilal, VP Marketing, Research & Innovation des pakistanischen Jeans-Herstellers Soorty Enterprises sowie Ebru Debbag, Director Global Sales & Marketing von Soorty Enterprises, tauschten sich dazu mit Katja Hansen, C2C-Expertin und Beirätin C2C NGO, aus. 

Nachhaltige Landwirtschaft im Global Süden hilft Kleinbauer*innen dort

Insbesondere in den Produktionsländern führe die heutige Produktions- und Konsumweise von Baumwolltextilien zu Armut und Umweltverschmutzung, sagten Ambavaram und Stridde. Beide Initiativen arbeiten mit kleinen Baumwollbauer*innen zusammen, die eine nachhaltige Landwirtschaft ohne genetisch veränderte Samen und Pestizide pflegen. Die Initiativen bieten Weiterbildung und, im Falle von Cotton made in Africa, organisieren den Weiterverkauf bis in den Handel. In den vergangenen Jahren sei das jährliche durchschnittliche Haushaltseinkommen der Baumwollbauer*innen in der RESET-Initiative um 30 Prozent gestiegen da sich die Anbaukosten durch die Maßnahmen halbiert hätten. „Für die Bauern war es eine große Umstellung und ein großes Risiko, so zu arbeiten. Es ist einfacher, Pestizide zu versprühen. Aber unser Erfolg zeigt uns, dass wir einen Beitrag dazu leisten können, direkt am Anfang der Wertschöpfungskette in Kreisläufen zu denken“, sagte Ambavaram. Stridde ist überzeugt davon, dass Cotton made in Africa auch deshalb erfolgreich sei, weil die Nachfrage nach nachhaltigen Textilien steige. „Das Thema Nachhaltigkeit geht nicht mehr weg. Konsument*innen denken mehr darüber nach, welche Auswirkungen ihre Aktivitäten und ihr Konsum haben. Sie haben damit eine wichtige Rolle und machen Druck auf Händler und Marken“, so Stridde. Eine solche Marke ist der pakistanische Jeans-Hersteller Soorty, der als weltweit erster Textilherstellende sein gesamtes Sortiment, von Baumwollnähgarn bis zu fertigen Geweben und Kleidungsstücken, nach dem Cradle to Cradle-Standard in Gold zertifizieren konnte. Cradle to Cradle sei ein ganzheitlicher Ansatz, da er den gesamten Lebenszyklus eines Produkts inklusive des Designs hinterfrage, so Ebru Debbag. Das sei auch das Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie von Soorty gewesen. Die Umsetzung von Cradle to Cradle bei Soorty dauerte gut 2 Jahre, sagte Mansoor Bilal. Das Ziel der Soorty-Kund*innen, Kollektionen schnell auf den Markt bringen zu wollen, habe diese Entwicklung jedoch immer wieder erschwert. „Es gab Kunden, die uns vorschlugen, bei der Umsetzung doch etwas weniger strikt zu sein und weniger strenge Standards zu setzen. Aber das ist für uns nicht der Sinn von Nachhaltigkeit“, so Bilal. Im Globalen Süden seien die fatalen Auswirkungen der heutigen Textilproduktion besonders groß, so Debbag. „Die Gesetzgebung, auch in Europa, muss diese Konsequenzen berücksichtigen“, so Debbag.

Im dritten Panel sprachen Friederike Priebe, Team Lead Cradle to Cradle Textiles bei EPEA – part of Drees & Sommer, Alexander Meyer zum Felde, Partner & Associate Director, Sustainability & Circular Economy bei Boston Consulting Group, Andreas Bothe machte als Leiter CSR & Sustainability der Bay City Textilhandels GmbH und Mesbah Sabur, Co-Gründer und Geschäftsführer des Technologieunternehmens Circularise darüber, wie sich zirkuläre Produkte und Geschäftsmodelle skalieren lassen. 

Priebe berät Unternehmen auf dem Weg zur Produktzertifizierung nach Cradle to Cradle und unterstützt bei der dafür erforderlichen Umstellung sämtlicher Geschäftsprozesse. Seit den 70er-Jahren sei in der Textilindustrie viel Wissen um Materialgesundheit verloren gegangen, da die Märkte immer schneller wurden und Profit zunehmend über Qualität gestellt wurde. „Eines unserer Ziele ist es, nicht nur ein C2C-Produkt zu erstellen, sondern den Prozess dahinter in einem Unternehmen zu skalieren“, sagte sie. Dabei spiele es eine große Rolle, wieder in ganzheitlichen Systemen zu denken. Meyer zum Felde begleitete unter anderem C&A dabei, Cradle to Cradle-Textilien auf den Markt zu bringen. „Seit drei oder vier Jahren sehen wir erstmals, dass kommerzieller Erfolg direkt mit verantwortungsvollem und nachhaltigem Verhalten zusammenhängt“, sagte er. Nutze eine Marke etwa biologisch abbaubares Bleichmittel sei dies zwar doppelt so teuer als konventionelle Produkte. Dafür fielen in den Hauptproduktionsländern der Textilindustrie dadurch deutlich geringere Kosten für die Nachbehandlung des eingesetzten Wassers an. Auch das habe dazu beigetragen, dass die C2C-Textilien von C&A im Handel gleich viel kosten wie die konventionellen Kleidungsstücke. Die eigenen Zuliefernden auf dem Weg hin zu Cradle to Cradle in der Massenproduktion mitzunehmen sei indes nicht immer einfach, sagte Andreas Bothe. Zumindest sei dies der Fall gewesen, als Bay City 2016 mit den ersten Nachhaltigkeitsinitiativen in Richtung Cradle to Cradle startete. „Wir konnten hartnäckig bleiben, weil unsere Inhaber voll hinter unseren Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit bei den Zulieferern standen“, so Bothe. Das Unternehmen produziert auch für Dritte und war bereits an einem C2C-Projekt für einen großen Textilhändler beteiligt, in dem C2C-Textildruckfarben zum Einsatz kamen. Ende des Jahres soll nun auch eine C2C-Kollektion unter eigener Marke auf den Markt kommen. Es sei auf dem Weg zu C2C wichtig, den Dialog zwischen Herstellenden und Zuliefernden transparent zu führen, sagte Bothe. Diese Transparenz durch Technologie zu unterstützen ist das Ziel von Mesbah Sabur. Circularise will mit dem dezentralen Blockchain-System Unternehmen auf dem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft unterstützen. Die Blockchain sei zwar nicht der einzige Weg, Transparenz in eine Lieferkette zu bringen, so Sabur. Im besten Fall aber sei eine solche Blockchain eine ideale und sichere „offene Plattform, um die Herkunft und die Qualität von Rohstoffen und Materialien nachzuverfolgen und auch zu verifizieren“.

C2C, um dem Klimawandel zu begegnen

In ihrer Abschluss-Keynote ging die Menschenrechts- und Umweltaktivistin, Autorin und Wissenschaftlerin Dr. Vandana Shiva erneut darauf ein, dass durch die Internalisierung externer Kosten ohne Ressourcenverschwendung günstiger produziert werden könnte. Daher brauche es eine Kreislaufwirtschaft mit entsprechenden politischen Anreizen auf globaler Ebene in der Textilindustrie, sagte sie. Menschenrechtsverletzungen, Gesundheitsschäden und der Klimawandel seien letztlich alles Symptome derselben Krise: Die Überschreitung der planetaren Grenzen. „Wir müssen daher C2C-Modelle entwickeln, um Produktionssysteme auszubauen, die die Biodiversität regenerieren und den Klimawandel umkehren“, so Shiva.

Ein erschöpfter Planet und die Zukunft des Bauens

Ein erschöpfter Planet und die Zukunft des Bauens 1280 960 C2C LAB

Lamia Messari-Becker hat vier Jahre lang die Bundesregierung in Umweltfragen beraten. Sie ist Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik und setzt sich schon seit einigen Jahren für eine verstärkte Integration der Gebäude- und Stadtentwicklung in die Klimapolitik ein. Am 15. Oktober unterhielt sie sich im virtuellen LAB Talk mit Tim über die Entwicklung des Welterschöpfungstags, die potenziellen Auswirkungen von Ressourcenausweisen und über Gebäude der Zukunft.

Lamia Messari-Becker ist Bauingenieurin und war vier Jahre lang Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen, auch Umweltrat genannt. Der untersteht fachlich dem Bundesumweltministerium, begutachtet die Umweltsituation in Deutschland und spricht Empfehlungen aus. Wieso es unabdingbar ist, eine Gebäudeexpertin im Umweltrat sitzen zu haben, erzählte uns Lamia gleich zu Beginn: 30 % der CO2 Emissionen, 60 % des Abfallaufkommens, 40 % des Energie- und Ressourcenverbrauchs und 70 % der Flächenversiegelung gingen auf die Baubranche zurück, so Lamia. Der Bausektor müsse also eine deutlich größere Rolle in der deutschen Klimapolitik spielen. Neben ihren politischen und Lehrtätigkeiten forscht sie zu Ressourceneffizienz, Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Hoch- und Städtebau sowie zu kommunalen Strategien des Klimaschutzes. Seit diesem Jahr ist sie außerdem Mitglied im Club of Rome. Die internationale Denkfabrik wurde 1968 gegründet und setzt sich mit Expert*innen aus mehr als 30 Ländern für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit ein.

Covid-19 und die planetare Erschöpfung

Am 22. August 2020 war Welterschöpfungstag. Das heißt, seit diesem Tag übersteigt der menschliche Konsum von nachwachsenden Rohstoffen die Kapazität der Erde, diese Stoffe zu reproduzieren. Bis Ende dieses Jahrs bräuchten wir also mehr als eine Erde, damit unser Konsum nicht die planetaren Grenzen übersteigt. 1970 war das erste Jahr, in dem der jährliche Verbrauch die Menge der global zur Verfügung stehenden Rohstoffe überstieg. Seitdem rückt der Erdüberlastungstag immer früher ins Jahr hinein. Bis auf dieses Jahr. 2020 ist der Tag, im Vergleich zum Vorjahr um 24 Tage nach hinten gerückt. Das ist, da sind sich Wissenschaftler*innen einig, auf die Corona Pandemie zurück zu führen und nicht etwa auf die internationale Klimapolitik. Dieses Jahr war und ist auf der ganzen Welt vieles stillgelegt. Laut Tim waren 90 % aller Flüge gestrichen, der internationale Handel wurde eingeschränkt und Infrastrukturprojekte auf Eis gelegt. Vieles lief langsamer ab als vor der Pandemie. Trotz dieser Einschränkungen haben wir bis zum Welterschöpfungstag nur 24 Tage hinzugewonnen. Auch 2020 bräuchten wir Berechnungen zufolge 1,56 Erden, um unsere weltweite Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen zu erfüllen. Und das, obwohl unser Individualkonsum gefühlt sehr drastisch zurück gegangen sei, sagte Lamia. Dies zeige, dass die Musik woanders spiele. Zu entscheiden, dass hier und da eine Straße autofrei gemacht werde oder an Menschen zu appellieren, weniger zu fliegen, sei richtig, werde aber das Ruder nicht herumreißen. Es müssten stattdessen ganze Branchen umgestaltet werden. „Wenn wir uns beispielweise die Abfallproduktion angucken kommt 60 % davon aus der Baubranche. Das sind riesige Mengen, diese gilt es anzugehen“ sagte sie.

Ein Ressourcenausweis für die Zukunft

Umfragen in Europa haben gezeigt, dass die Mehrheit der Bürger*innen den menschlich gemachten Klimawandel als politisch hoch relevant ansehen. Es tue sich trotzdem nicht genug, so Tim. „Die Buchveröffentlichung ‚Die Grenzen des Wachstums‘ des Club of Rome ist fast 50 Jahre her. Wie schaffen wir jetzt einen effektiven Wandel? Wir wollen in 50 Jahren nicht schon wieder zurückdenken und uns fragen müssen wieso wir nicht genug getan haben, obwohl wir es doch wussten“, sagte er. Lamia betonte, anstelle eines oft geforderten ‚system change‘ sei es deutlich effizienter, Probleme und Abläufe zu reformieren, neu zu entwickeln und anzupassen. Ihr fehle in der Klimabewegung oft die Diskussion über zukunftsfähige, grüne Geschäftsmodelle. Zum Beispiel wurden seit 1990 die Emissionen in der Baubranche um 30 % reduziert. Gleichzeitig sei aber der Materialverbrauch gestiegen. Deshalb müsse ganz konkret der Ressourcenverbrauch geregelt werden. Dazu müssten Produkte neu bepreist werden, damit sie ihre tatsächlichen Kosten widerspiegeln. Dazu zähle auch, dass die Materialauswirkungen auf die Umwelt und Kreislauffähigkeit mit in den Preis einfließen. Ein Ressourcenausweis, also ein Zertifikat, das den Lebenszyklus eines Materials bewertet, sei ebenfalls notwendig, so Lamia. Dieser würde Energieaufwand, CO2-Ausstoß und Kosten gleichermaßen betrachten. Die Gebäudenutzung sei nur eine Lebensphase eines Gebäudes. Herstellungsphase, Sanierung, Renovierung und Abriss seien weitere, die auch mit bedacht werden müssten. Ein Ressourcenausweis würde für alle Gebäude erfassen, wie viele Rohstoffe es wirklich verwendet. Dadurch würde das Bewusstsein für die Emissionen im gesamten Lebenszyklus geweckt werden und so neue Anreize für Innovationen entstehen. Dies helfe wiederum dabei, dass Preise von Rohstoffen ihre tatsächlichen Kosten besser reflektieren.

Von angemessenen Preisen zu Kreisläufen

Die Bepreisung von Rohstoffen sei das eine, so Tim. Es sei ebenfalls zwingend notwendig, Materialien im Bau zu verwenden, die kreislauffähig sind. Dafür sei die Bestandssanierung des C2C LAB 2019 ein treffendes Beispiel. Bei der Sanierung des Ostberliner Plattenbaus wurden Materialien gefunden, die hier eigentlich gar nicht hingehörten, so Tim. KMF-Deckenplatten, beispielweise, die aus künstlichen Mineralfasern, Füllstoffen und Bindemitteln bestehen. Die seien nicht recyclebar und können nicht richtig entsorgt werden. „Deshalb haben wir uns natürlich bei der Sanierung all diese Fragen gestellt. Vom eigentlichen Preis von Rohstoffen, über die Kreislauffähigkeit von Materialien, gesunde Wandfarben und trennbaren Fenstern bis hin zu rückbaubaren Dämmungen. Wir wollen so aktiv verhindern, dass unser Baumaterial nach einer Nutzungsphase zu Sondermüll wird“, so Tim. Viel zu viel Baumaterial auf dem Markt sei aber nicht recyclebar. Lamia, als Expertin für Ressourceneffizienz, erklärte, wie sich das ändern lässt. „Ökobeton, zum Beispiel, wurde in der Schweiz direkt als Standard übernommen. In Deutschland sind wir was innovative Ideen angeht noch zu konservativ. Wir müssen Zulassungsverfahren flächendeckend vereinfachen, den Umstieg auf gesündere und kreislauffähigere Materialien attraktiver machen und über regionale Standpunkte nachdenken. Hier spielt neben der Baubranche auch die Politik eine große Rolle“, findet Lamia.

Das Gebäude der Zukunft

Neben Kritik an der momentanen Baubranche, haben Lamia und Tim auch über eine positive Zukunftsvision gesprochen. Für diese ist laut Lamia eine Kreislaufwirtschaft unabdingbar. Es sei hochrelevant, zeitnah eine Lebenszyklus-basierende Wirtschaft in der Baubranche zu standardisieren. Um Unternehmen Anreize für den Umstieg zu schaffen, müsse die öffentliche Hand, also Städte und Kommunen, ihre Beschaffungen nach Nachhaltigkeitsaspekten umgestalten. Das würde zu wachsender Nachfrage nach kreislauffähigen Rohstoffen bei Unternehmen führen. Am Anfang könnte der Umstieg mehr Geld kosten, aber auf den gesamten Lebenszyklus eines Materials geblickt sei es ein finanzieller sowie ökologischer Gewinn für die ganze Kommune oder Stadt. Cradle to Cradle NGO baut aus diesem Grund dieses Jahr ihr Referat Städte und Kommunen (SUK) weiter aus. Dort arbeiten Mitarbeiter*innen daran, Regionen bei der Verankerung von C2C zu unterstützen, beispielsweise über entsprechende Beschaffungsrichtlinien. Die Arbeit von C2C NGO sei für die Baubranche sehr wichtig, so Lamia. Um Zukunftsideen zu etablieren müssten wir experimentieren. Das heiße in dem Fall: machen und bauen – zeigen, dass es funktioniere. Dafür seien informierte Städte und Kommunen unabdingbar. Dabei könne die Arbeit von C2C NGO behilflich sein.

Cradle to Cradle als Dach für Textilstandards

Cradle to Cradle als Dach für Textilstandards 2560 1920 C2C LAB

Henning Siedentopp hat sich schon als Abiturient mit Nebenjob in der Eisdiele dafür interessiert, wie sein Chef sein kleines Unternehmen führt. Heute ist Henning selbst Unternehmer und Geschäftsführer des Fashion-Labels Melawear. Mit Tim hat er sich am 23. April beim LAB Talk unter anderem über die Folgen der Corona-Pandemie für die Textilindustrie und die darin Beschäftigten unterhalten und erklärt, welche RolleCradletoCradle für sein Unternehmen spielt.  

Eines steht für Henning Siedentopp fest: “Die Corona-Krise ist die allergrößte Herausforderung, die wir bei Melawear bisher hatten.” 2014 hat der gebürtige Kasseler das Fashion-Label gegründet. Noch während er an seiner Masterarbeit zum Thema Textilien und Kreislaufwirtschaft saß. Von Unternehmertum fasziniert sei er da schon lange gewesen, erzählte er Tim beim LAB Talk. Aber erst durch das Masterstudium sei in ihm die Idee gereift, zum Gründer im Bereich nachhaltige Textilien zu werden.  

Derzeit werden überall weniger Klamotten gekauft. “Das ist in einer Krise nicht unbedingt das erste, was man braucht”, sagte Henning. Das könne er natürlich verstehen. Aber: Als wachsendes Unternehmen habe Melawear Ziele und einen Finanzplan. “Wir beliefern 300 Händler in Deutschland. Wenn da Umsätze ausbleiben, dann wirkt sich das direkt auf die Mitarbeiterplanung aus”, nennt er eine der Entwicklungen der vergangenen Wochen.  

Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten eine “Katastrophe” 

Doch für die Textindustrie gehen die Herausforderungen durch Corona weit darüber hinaus. Indien, eines der Hauptfertigungsländer der globalen Textilwirtschaft und das Land, aus dem alle Textilien von Melawear kommen, ist von der Krise stark betroffen. “Da sind Produktionsstätten geschlossen und ganze Chargen liegen auf Eis”, so Henning. Wann diese hier einträfen, sei unsicher. Und: für die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten in Indien sei die derzeitige Situation “eine Katastrophe”.  

Die Produktionsverhältnisse vor Ort zu verbessern, sei für ihn ein Antrieb gewesen, Melawear so aufzustellen, wie es letztlich geschehen sei, erzählte Henning. “Vom Baumwollanbau über die Verarbeitung bis zu Konfektionierung: Da sitzen tausende Menschen, die derzeit keine Arbeit haben und kein Geld verdienen können”, berichtete er Tim. Obwohl die Beschäftigten der Produktionsstätte für Melawear dank Fairtrade-Standard feste Arbeitsverträge hätten sei unsicher, wie lange die Gehälter bei ausbleibenden Umsätzen noch bezahlt werden könnten.  

Situationen wie diese stellen für C2C NGO immer wieder die Frage in den Vordergrund, wie lange wir unser derzeitiges Wirtschaftssystem noch aufrechterhalten können und wollen, ergänzte Tim an dieser Stelle. Cradle to Cradle bezieht auch Themen wie faire Löhne und Arbeitsbedingungen mit ein – diese würden derzeit noch stärker als ohnehin ausgehebelt. Und es sei zu befürchten, dass dies auch bezüglich ökologischer Standards in den Lieferketten wieder zunehme.  

Vor der Krise, so Henning, sei nachhaltige Mode in aller Munde gewesen. Auch bei konventionellen Produzent*innen und vor allem bei den Verbraucher*innen. In der Umsetzung allerdings haben es auch vor Corona bereits große Unterschiede gegeben. “Nur 1 Prozent der weltweit angebauten Baumwolle ist bio-zertifiziert. Und ein Drittel davon ist, zumindest in Indien, Fairtrade-zertifiziert. Es liegt also noch ein unglaublich langer Weg vor uns”, so Henning. Und das, obwohl die Herstellung von Knöpfen oder Garnen in dieser Betrachtung noch außen vorgelassen werde. “Es gibt extrem viele Marken am Markt, die mit Fairtrade und Bio werben – und kaum etwas steckt dahinter”, so Henning. 

Das falle auch ihm immer wieder auf, so Tim. Etwa, wenn Sohlen für Flipflops aus recycelten Kunststoffen, die dafür jedoch überhaupt nicht geeignet seien, hergestellt werden. Diese Kunststoffe beinhalteten schädliche Substanzen und seien so weder für den Kontakt mit menschlicher Haut geeignet noch dafür, dass ihr Abrieb als Feinstaub in der Natur lande. 

Mit Henning durch den Siegel-Dschungel 

Er habe sich früher sehr über diese Wettbewerber*innen aufgeregt, erzählte Henning. Heute konzentriere er sich lieber darauf, die Dinge selbst richtig zu machen und darüber möglichst viel zu sprechen und aufzuklären. Für Verbraucher*innen sei es oft gar nicht so einfach, Produkte zu erkennen, die bestimmte ökologische und soziale Standards einhalten, sagte Henning – und gab gleich noch eine kleine Einführung in die Siegelkunde. Für ihn sei dabei besonders wichtig, bei Naturfasern die gesamte Wertschöpfungskette zu betrachten. Und sich auch darüber Gedanken zu machen, was passiere, wenn ein Produkt nicht mehr getragen werde.  

Der Fairtrade-Standard decke quasi den Anbau ab. Im Falle von Melawear den Baumwollanbau in Indien. “Der Standard stellt sicher, dass unsere Baumwollbauern faire Prämien erhalten. Und weil es sich bei uns um Biobaumwolle handelt, sind die Prämien noch ein bisschen höher”, so Henning. Gleichzeitig stelle der nachverfolgbare Anbau nach Bio-Standard sicher, dass die Böden in der Anbauregion gesund blieben.  

Im zweiten Schritt stelle Melawear durch das GOTS-Siegel (Gobal Organic Textile Standard) sicher, dass die gesamte Lieferkette bio-zertifiziert werde. Also alle Materialien, vom Knopf über das Garn bis hin zu den Farbstoffen. “Der Mehrwert hier ist Schadstofffreiheit in allen Produkten”, so Henning. Bezüglich der Löhne in der Lieferkette arbeite Melawear mit Fairtrade an einem Standard, der binnen sechs Jahren dafür sorgen soll, dass auch alle Beschäftigten in der Konfektionierung von Mindestlöhnen auf existenzsichernde Löhne kommen.  

Cradle to Cradle kommt bei Melawear bereits beim Design von Produkten ins Spiel. “Wie können wir so designen, dass wir ein Produkt im Kreislauf halten können? – Das ist für uns von Anfang an immer eine Frage”, sagte Henning. Das entspricht auch der Definition von Cradle to Cradle. Der Ansatz geht daher über andere Konzepte, und damit auch über die inhaltlichen Vorgaben von Siegeln wie GOTS oder Fairtrade, hinaus. Vor allem bei Produkten, die in einer bestimmten Menge produziert würden, stelle sich für Melawear die Frage, wie man diese zurücknehmen und komplett wiederverwerten könne. “Cradle to Cradle ist für uns daher so eine Art Dachkonzept, unter dem sich alle weiteren Standards andocken”, so Henning.  

Machen und darüber reden 

Melawear ist ein Beispiel, dass sich Unternehmertum und Cradle to Cradle nicht ausschließen. Aber welchen Einfluss hat ein vergleichsweise kleines Label auf die milliardenschwere Textilindustrie? Diese Frage stellte sich auch das virtuelle Publikum, mit ganz konkretem Bezug auf das wahrscheinlich recht schmale Marketingbudget der Kasseler Firma. Wenngleich Melawear weniger Geld für klassisches Marketing ausgebe, so Henning, spare man nicht am Budget für Forschung & Entwicklung und spreche immer und überall über die eigene Strategie und die eigenen Ansprüche an die Qualität der Produkte. “Wir arbeiten von Anfang an nach unseren strengen Standards und machen dabei keinerlei Abstriche. Das überzeugt unsere Kunden – und es zeigt dem Rest der Industrie, dass es eben auch so geht”, so Henning.  

Eine Premiere und eine Politikerin im C2C LAB

Eine Premiere und eine Politikerin im C2C LAB 2560 1920 C2C LAB

Weil wir durch die Coronapandemie derzeit keine Veranstaltungen in unserem C2C LAB durchführen können, haben wir diese kurzerhand ins Internet verlegt. Nach der ersten virtuellen Tour durch das LAB (LINK) stand am Donnerstag, den 2. April, die nächste Premiere an: Der erste LAB Talk, bei dem die Europaabgeordnete Delara Burkhardt (SPD) zu Gast war.  

Ein gut funktionierendes Headset ist derzeit der wichtigste Ausrüstungsgegenstand eines Mitglieds des Europäischen Parlaments. Normalerweise, so erzählte Delara im LAB Talk mit unserer Vorständin Nora,  ist sie nonstop zwischen Brüssel, Straßburg und ihrem Wohnort Kiel unterwegs, trifft dabei viele Menschen, arbeitet im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit oder sitzt mit den gut 700 weiteren EU-Parlamentarier*innen zusammen und stimmt über Gesetzesvorlagen ab. Durch die Coronapandemie entfällt all das – stattdessen sind nun Videokonferenzen und digitale Abstimmungen an der Tagesordnung. “Das alles jetzt auf die eigenen vier Wände zu übertragen, nicht mehr so viel unterwegs zu sein und neue, digitale Formate auszuprobieren, ist eine spannende Erfahrung”, sagt die 27-Jährige. 

Eines steht für Delara fest: Die Arbeit der EU-Kommission und des EU-Parlaments muss derzeit reibungslos weiterlaufen. Nicht nur um Maßnahmenpakete zur Bewältigung der Coronakrise und Verbesserung der Situation Geflüchteter an den EU-Außengrenzen zu verabschieden. Sondern auch, um die Umsetzung des jüngst von der EU-Kommission vorgelegten Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft voran zu treiben. 

“Wenn wir in der EU über die Einhaltung der Klimaziele sprechen, kommen wir an einer Kreislaufwirtschaft nicht vorbei”, sagte Delara. Mehr als die Hälfte der europäischen CO2-Emissionen stammten daraus, wie wir Ressourcen gewinnen und verarbeiten.  “Daher brauchen wir eine kluge Politik, um die Ressourcen, die wir verbrauchen, in einen Kreislauf zu bringen”, so Delara weiter. Der Aktionsplan, den die EU-Kommission im Rahmen des Green Deals erstellt hat, sei aus ihrer Sicht ein solcher politischer Ansatz. Darin werde ganzheitlich der gesamte Lebenszyklus von Produkten betrachtet. Durch ihn solle auch der vermeintliche Widerspruch“ entweder geht es der Umwelt gut, oder den Menschen”, aufgelöst werden.  

Dass der Aktionsplan beim Design von Produkten ansetzt, ist auch aus Sicht von C2C NGO der richtige Weg, wie Nora erläuterte. Auch dass die Kommission Product-as-a-service-Modelle darin erwähne, bei denen nicht das Produkt, sondern dessen Nutzung bezahlt werden. “Dieses Thema diskutieren und forcieren wir seit Jahren – und jetzt kommt es langsam an. Das finde ich positiv”, so Nora.    

Ein Kritikpunkt an dem Paket sei der Fokus auf die Langlebigkeit von Produkten. Auch Autoreifen seien über die Jahre immer langlebiger konzipiert worden, so Nora. Das habe dazu geführt, dass der bei der Nutzung entstehende Feinstaub immer feiner und damit schädlicher für Mensch und Umwelt wurde. “Hier wurde nicht auf das Nutzungsszenario geachtet. Ein Autoreifen muss so gemacht sein, dass sich die Materialien, die abgerieben werden, in der Biosphäre abbauen können”, so Nora weiter. Die Nutzung schädlicher Chemikalien werde im Aktionsplan angesprochen, so Delara. Ebenso wie die Nutzung von Bio-Kunststoffen. Der Gedanke spiele also in dem Papier durchaus eine Rolle.   

Auch die Frage der Kohärenz werde in den europäischen Ausschüssen im Zuge des Green Deals immer wieder diskutiert. “Es kann nicht sein, dass wir ambitioniertere Klimaziele fordern, und auf der anderen Seite dafür sorgen, das unnachhaltige Projekte durch EU-Mittel subventioniert werden”, sagte Delara. Das entspricht auch der Forderung von C2C NGO nach einer realeren Preispolitik, die Umwelt- und Klimaschäden nach dem Verursacherprinzip abbildet.  

Generell sei der Aktionsplan “work in progress”, so Delara – und andressierte damit auch eine Frage aus dem virtuellen Publikum. Organisationen sowie Bürger*innen können sich bei der Gestaltung konkreter Vorschläge und Gesetzesvorhaben, die aus dem Aktionsplan folgen müssen, einbringen. Etwa, indem sie an ihre EU-Abgeordneten schreiben. Mit diesem Engagement hänge auch zusammen, wie stark die Klima- und Umweltpolitik der EU in den nächsten Monaten vorangetrieben werde. Bei der letzten Europawahl war dieser Bereich eine der wichtigsten Grundlagen für die Wahlentscheidung der Bürger*innen. Darüber habe das EU-Parlament den Druck auf die EU-Kommission aufbauen können, der letztlich auch zum Green Deal geführt habe. “Daran müssen wir auch jetzt wieder erinnern. Ich bin der Meinung, dass die Politik in der Lage ist, mehrere Krisen auf einmal zu händeln”, so Delara. Ziel müsse es sein, den Green Deal zum Herzstück “eines Wirtschaftsaufbauprogramms nach Corona” zu machen.  

Wirtschaften wie der Wald

Wirtschaften wie der Wald 2560 1707 C2C LAB

Im Wald arbeiten alle Pflanzen und Lebewesen zusammen. So unterschiedlich die einzelnen Akteure dort auch sein mögen: Sie bilden ein geschlossenes Ökosystem, ganz ohne Müll. Dass dies auch im Bauwesen möglich ist, zeigten Holzbaupionier Erwin Thoma und der Architekt Jörg Finkbeiner von Partner und Partner Architekten am 6. März 2020 beim C2C Forum “Klimapositives Bauen” im C2C LAB vor vollem Haus.  

Erwin Thoma und Jörg Finkbeiner eint ihre Begeisterung für Holzbau. Und dabei geht es nicht um kleine Holzhütten. Die Thoma Holz GmbH baut mit ihrem Cradle to Cradle-zertifizierten System Holz100 neben Wohnhäusern auch Hotels vollständig aus unbehandeltem Holz und hat unter anderem das Material für das Rathaus in der C2C-Modellstadt Venlo gestellt. Finkbeiner baut mit Partner und Partner Architekten derzeit in Wolfsburg die beiden Holzhochhäuser Woodscraper, die 2019 mit dem Bundespreis Ecodesign ausgezeichnet wurden. Beide sind überzeugt, dass Holzbau in der Breite aufgrund der Materialgesundheit und der Dämmeigenschaften nicht nur wesentlich zum Klimaschutz beitragen kann. Sondern auch, dass diese Art und Weise zu bauen elementarer Teil einer echten Kreislaufwirtschaft nach Cradle to Cradle ist.   

Holz im Überfluss… 

Die beiden Woodscraper, so Finkbeiner, speicherten in der Konstruktion etwa 1600 Tonnen CO2 pro Gebäude. “Sie sind ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz”, sagte er in seinem Vortrag. “Holz ermöglicht Energieautarkie – das ist der Quantensprung, den wir brauchen”, fügte Thoma hinzu. Einen Mangel am Material Holz gebe es nicht, so die beiden. Ganz im Gegensatz zu Sand als Baustoff für Beton. “Wir ersaufen im Holz, weil wir Häuser betonieren”, sagte Thoma. Jährlich würden in Deutschland rund 76 Millionen Kubikmeter Rohholz gerodet, so Finkbeiner. Bei einem jährlichen Bedarf von 272000 neuen Wohnung in Deutschland würden demnach 12,5 Prozent der jährlichen Holzernte ausreichen, um den gesamten Neubaubedarf aus Massivholz zu decken, so Finkbeiner weiter. 

Die Kreislauffähigkeit des Materials wird bei dieser Rechnung noch gar nicht beachtet. Denn Holz sei noch nach Jahrzehnten wiederverwendbar. “Bis zur Generation unserer Großeltern war Holz aus dem Wald eine Art Sparkasse”, so Thoma. Wenn heute ein Haus abgerissen werde, “dann kommen wir sofort auf die Sondermüllschiene. Das kostet zusätzlich Geld”, sagte er weiter. Es brauche demnach eine grundsätzlich neue Haltung im Bauwesen, das für gut 60 Prozent des gesamten Müllaufkommens in Deutschland verantwortlich ist. “Wir müssen Gebäude als Materialbank verstehen. Theoretisch können wir alle Teile ausbauen und in einem neuen Gebäude einbauen”, sagte Finkbeiner. So würde sich auch der Blick auf die Kosten ändern, die derzeit noch über denen konventioneller Bauten lägen – wenngleich auch nur leicht. Bei den Woodscraper seien es etwa 100.000 Euro Mehrkosten im Bau. Die Kostenminderung bei einer Umnutzung, die geringeren Kosten durch den günstigeren Rückbau und die Vermeidung von Sondermüll sowie der Werterhalt und Ertrag der verbauten Materialien seien in dieser Vergleichsrechnung noch nicht enthalten, so Finkbeiner.  

Und diese Rechnung gelte nicht nur für Holz. “Wenn man in 50 Jahren aus einem Gebäude auszieht, in dem Kupfer verbaut ist, dann kann man davon ausgehen, dass das zu diesem Zeitpunkt sehr viel Wert sein wird. Das ist eine wirtschaftlich interessante Perspektive”, so Finkbeiner. In 50 Jahren, ergänzte Thoma, “werden wir froh sein, wenn wir auf Urban Mining und Cradle to Cradle-Bauten zurückgreifen können. Daher ist es extrem wichtig, dass wir Cradle to Cradle so schnell wie möglich in der Bauwirtschaft umsetzen. Das müsste ein zwingendes Ausschreibungskriterium werden”, so Thoma.  

…und eine reaktive Gesetzgebung 

Bisher ist das nicht der Fall – und der Dialog mit Genehmigungsbehörden teilweise müßig. “Die Landesbauordnungen werden sukzessive angepasst. Wir stellen fest, dass die Gesetzgebung reaktiv ist – darüber rege ich mich als Planer auf”, so Finkbeiner. Denn: Wenn sich im Bauwesen etwas hin zu mehr Nachhaltigkeit ändere, dann passten die Gesetze schnell nicht mehr zur Realität. “Ich würde mir wünschen, dass man nicht so viel regelt, sondern eine Latte festlegt, über die man springen muss und so Innovation möglich macht”, fügte der Architekt hinzu. Für Thoma steht fest: “Wir müssen von der belastenden Wirtschaft zur echten Kreislaufwirtschaft kommen.” 

Das Problem besteht allerdings nicht nur bei Neubauten, wie die Sanierung des C2C LAB zeigte. Die weltweit erste Bestandssanierung nach Cradle to Cradle in einem Ostberliner Plattenbau war von behördlicher Seite ebenfalls mit Schwierigkeiten verbunden, die die geschäftsführende Vorständin von C2C NGO, Nora Sophie Griefahn, erzählte. Weil die in dem Gebäude verbauten Materialien nicht dokumentiert waren, sei lange nicht klar gewesen, mit welchem Aufwand der Umbau wirklich verbunden sein würde. “Wir hatten letztlich Glück, dass hier beispielsweise kein Asbest verbaut war”, so Griefahn. Eine digitale Dokumentation aller verbauten Materialien würde dieses Problem lösen. Wichtiger als über die Hürden zu sprechen sei indes, zum Thema klimapositives bauen überhaupt ins Gespräch zu kommen, einfach zu machen und dabei unter Bauherr*innen, Architekt*innen und Planer*innen zu kooperieren. “Wir müssen Gebäude bauen, die wirklich klimapositiv sind. Das kann Holzbau sein, aber auch andere Formen haben. Was nicht geht, ist irgendwo einen Betonklotz hin zu stellen, ohne zu überlegen, was nach der Nutzung damit passiert”, schloss Griefahn die Veranstaltung.  

Teil der Lösung statt Teil des Problems – Partner Event im C2C LAB

Teil der Lösung statt Teil des Problems – Partner Event im C2C LAB 1000 667 C2C LAB

Der Bodenhersteller Tarkettsowie der Bodensystemspezialist Uzin Utz sind zwei der zahlreichen Partnerfirmen von C2C NGO und nutzen das C2C LAB gerne für eigene Veranstaltungen. So auch am 5. März2020zum Thema echte Kreislaufwirtschaft nach CradletoCradle – und was die mit Plastik in den Weltmeeren zu tun hat 

Tarkett und Uzin Utz haben keine Lust, Teil der Verschmutzung der Weltmeere mit Plastik zu sein. “Wir wollen verhindern, dass unsere Böden, unser Material im Meer landet”, sagte Swantje Kühn, Sustainability Manager DACH bei Tarkett im C2C LAB. Uzin Utz sieht als familiengeführtes Unternehmen eine Selbstverantwortung, innovative und materialgesunde Produkte zu entwickeln. “Es ist Deine Welt, es ist Deine Wahl”, so der Leiter der Geschäftseinheit Uzin, Jürgen Walter, zum Umgang mit Plastik. Walter nahm gemeinsam mit dem Head of Corporate Business Development der Uzin Utz AG, Frank Wittkowski an der Veranstaltung teil.  

Tarkett leitet daraus den Anspruch ab, Bodenbeläge nach dem Prinzip einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft zu konzipieren. Rund 10% der Teppichfliesen des Unternehmens werden heute beispielsweise aus zurückgegebenen Fliesen hergestellt. Perspektivisch solle dieser Anteil deutlich steigen, so Kühn. Auch Uzin Utz geht den Weg über rezyklierte Materialien und liefert Bodenkleber etwa in Kanistern aus, die vollständig aus Altkunststoffen hergestellt sind. Aus Cradle to Cradle-Sicht betrachtet erfüllt der Bodenkleber zwar die strengsten Anforderungen an emissionsarme Verlegewerkstoffe (EMICCODE EC1). Wirklich Kreislauffähig ist er allerdings noch nicht, da er als Kleber bei der Entfernung nicht rückstandlos vom Bodenbelag getrennt werden kann.  

In seiner Keynote ging der geschäftsführende Vorstand C2C NGO, Tim Janßen, unter anderem auf das Ausmaß der Plastikverschmutzung in den Weltmeeren ein. Große Plastikteile aus den Ozeanen zu fischen, um daraus in der Zweitverwertung Kleidungsstücke oder Rucksäcke herzustellen, sei allerdings keine Lösung. “Diese Materialien wurden für dieses Nutzungsszenario einfach nie entwickelt”, sagte Janßen. Zum anderen seien vor allem kleinste Mikropartikel das große Problem. Sie gelangen unter anderem durch das Waschen von Kleidungsstücken aus synthetischen Fasern in das Abwasser und in Folge ins Meer. Das müsse weiter ins Bewusstsein der Menschen gelangen, so Janßen. Das gelinge vor allem durch Alltagsbeispiele. Mit Studierenden habe er bei Vorlesungen etwa bis zu 80 Mikrofasern in einem halben Liter Bier nachweisen können. “Da hört dann bei den Deutschen zumindest der Spaß auf”, so Janßen. Die zweite große Quelle sei Feinstaub von Autoreifen. Rund 40 Prozent des deutschen Kunststoffeintrags in die Meere stamme aus solchen Abrieben. “Reifen sind einfach nie dafür gemacht worden, dass ihr Abrieb in der Umwelt landet”, so Janßen.  

Dass Unternehmen wie Tarkett und Uzin Utz auf Materialien setzten, die entweder biologisch abbaubar seien oder in kontinuierlichen technischen Kreisläufen gehalten werden können, sei daher löblich. Das gelte insgesamt für die Baubranche, in der sich Cradle to Cradle immer stärker durchsetze. “Das ist aber keine Aufforderung, sich auszuruhen”, schloss Janßen.     


Mehr als klimapositiv Wirtschaften – C2CC20

Mehr als klimapositiv Wirtschaften – C2CC20 1536 895 C2C LAB

Kreislauffähig, klimapositiv und kreativ: Mit rund 1000 Gästen und 70 Speaker*innen aus Politik, Wirtschaft und NGOs war unser 6. Cradle to Cradle Congress in der Urania in Berlin ein voller Erfolg! Unter der Schirmherrschaft von Bundesumweltministerin Svenja Schulze und moderiert von Nina Eichinger startete der Congress am Freitag. Angesichts der Dringlichkeit von Umwelt- und Klimaschutz zog sich unser Motto „weniger schlecht ist noch lange nicht gut“ als roter Faden durch mehr als 30 Panels, Vorträge und interaktive Foren. Weiterlesen

Studierende zu Besuch im C2C LAB

Studierende zu Besuch im C2C LAB 1280 960 C2C LAB

Am Dienstag, dem 12. November begrüßten wir rund 60 Studierende des Bachelorstudiengangs ‚Nachhaltiges Management‘ der Technischen Universität Berlin. Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen gaben Ihnen eine Einführung in Cradle to Cradle und das C2C LAB.

Cradle to Cradle Café mit dem Thema ‘Positive Impact! Cradle to Cradle in Gebäuden‘

Cradle to Cradle Café mit dem Thema ‘Positive Impact! Cradle to Cradle in Gebäuden‘ 2560 1920 C2C LAB

Mosa, Tarkett und QbiQ haben am Dienstag, den 5. November 2019 zum Cradle to Cradle Café mit dem Thema ‘Positive Impact! Cradle to Cradle in Gebäuden‘ im C2C LAB eingeladen. Nora Sophie Griefahn stellte das C2C LAB an der Landsberger Allee als weltweit erste umfassende Bestandssanierung nach C2C vor. Dr. Anna Braune vom DGNB berichtete, dass die Förderung des bewussten Umgangs mit Ressourcen von Anfang an zu den DGNB Kernthemen gehörten. Dabei geht es um die vorausschauende Auswahl von Produkten hinsichtlich ihrer Inhaltsstoffe im Kontext der Anwendung, um die Berücksichtigung möglicher baulicher Veränderungen während der Nutzung und um den späteren Gebäuderückbau. Dieser sollte bereits bei der Produktauswahl in der Planung berücksichtigt werden. Edwin Meijerink, Delta Development Group sowie Peter Roelvink, IAA Architecten stellten das PulseBerlin vor. Das neue Bürogebäude befindet sich in der Nähe vom Potsdamer Platz und bilden den Eckabschluß vom TRIADE Quartier „Stresemannstraße – Hallesche Straße – Möckernstraße“. Das Konzept des Gebäudes wurde von Cradle to Cradle inspiriert.

Save the Date – C2C Summit: Building & Architecture

Save the Date – C2C Summit: Building & Architecture 2464 2464 C2C LAB

Der C2C Summit: Building & Architecture kreiert eine Plattform für Vernetzung, Austausch und Weiterbildung zum Thema Innovatives Bauen & Design im Rahmen von Cradle to Cradle. Vertreter*innen aus den Bereichen Bau, Architektur, Wirtschaft und Politik werden dazu animiert sich zu Themen wie C2C Innovationen & Bau, Best Practice Beispielen und zukünftiges Bauen auseinanderzusetzen.

Im gleichen Zuge soll das weltweit tiefgehendste C2C-Sanierungsprojekt in angemessener Tiefe vorgestellt werden: Mit dem C2C LAB entstehen auf 400qm Bildungszentrum, Reallabor und C2C Showroom im Herzen Berlins.

Alle Informationen zum C2C Summit sowie das Ticketing finden Sie unter
www.c2c-summit.org