Kreislaufwirtschaft

Energiewende und Ressourcenschutz zusammendenken

Energiewende und Ressourcenschutz zusammendenken 1280 960 C2C LAB

Am 18. Februar 2021 war die Ökonomin Prof. Dr. Claudia Kemfert zu Gast beim Cradle to Cradle LAB Talk. Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und lehrt als Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg. Die Co-Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung berät zudem verschiedene Forschungseinrichtungen und die EU-Kommission. Mit ihrem Buch „Mondays for Future“ griff sie Forderungen der „Fridays for Future“-Bewegung auf und entwickelte Vorschläge für deren Umsetzung. Im Talk mit Tim sprach Kemfert über Instrumente für den Umstieg auf eine nachhaltige Wirtschaftsweise, einen ganzheitlichen Blick auf die Klima- und Ressourcenkrise und die Chancen, die Cradle to Cradle-Ansätze dafür bieten.

„Das heutige Wirtschaften ist keineswegs nachhaltig. Wir produzieren und konsumieren zulasten der zukünftigen Generationen – wir bräuchten vier weitere Planeten in Reserve, wenn wir so weitermachen wie bisher.“ So lautete die Bestandsaufnahme von Claudia Kemfert beim LAB Talk. Dass die heutige Form des Wirtschaftens Nachhaltigkeitsbelange weitestgehend ausblendet, verursache enorme volkswirtschaftliche Kosten, die wir schon jetzt heimlich in Form von Umwelt-, Gesundheits- und Klimaschäden bezahlen. Während aktuell Gewinne privatisiert werden, muss für externe Umwelt- und Klimakosten die Gesellschaft aufkommen. Dem gelte es entgegenzusteuern, sagte Kemfert. Indem Wirtschafts-, Klima- und Umweltschäden eingepreist und den Verursachenden in Rechnung gestellt werden, könne es gelingen, Anreize für einen grundlegenden Paradigmenwechsel in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu schaffen. Momentan herrsche durch ein Narrativ, das Wirtschaftlichkeit an vorderste Stelle setzt, eine „Verschleierung der Kostenwahrheit“, die aufgedeckt werden müsse. Während Bilanzierungen von Finanzzahlen und Budgetierungen bereits selbstverständlich seien, müsse dies auch im Bereich der Nachhaltigkeit gelten. In den letzten Jahrzehnten sei diesbezüglich trotz internationaler Verpflichtungen zu wenig passiert, bemängelt die Ökonomin. Dank zivilgesellschaftlicher Bemühungen wie den prominenten „Fridays for Future“-Protesten ist heute eine zunehmende Sensibilisierung für Themen des Umwelt- und Klimaschutzes in der Gesellschaft entstanden – dieses gesellschaftliche Umdenken spiele eine wichtige Rolle in der Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft, sagte Kemfert weiter.

Auch wir glauben, dass „Fridays for Future“ die Diskussion um Umwelt- und Klimaschutz in die Mitte der Gesellschaft gebracht hat. Doch Forderungen nach Verzicht reichen uns nicht. Mit Cradle to Cradle stehen wir für ein Konzept, das den Nachhaltigkeitsgedanken weiterführt und konkrete Lösungen für eine wirklich zukunfts- und kreislauffähige Wirtschaftsform anbietet.

Klimafrage nicht isoliert sehen

Diesem Ansatz stimmte auch Kemfert zu. Man dürfe die Klimafrage nicht nur für sich betrachten, sondern müsse die Gesamtheit der Herausforderungen im Bereich Nachhaltigkeit betrachten, sagte sie. Einen wichtigen Leitfaden bilden für sie dabei die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN, die einen umfassenden Blick auf Nachhaltigkeit in den verschiedensten Sektoren richten. Effektiven Klimaschutz zu betreiben und „Kreislaufwirtschaft in allen Bereichen durch zu deklinieren“ bedinge sich laut Kemfert gegenseitig. Mit diesem Ansatz ließen sich Umwelt- und Klimaziele gleichzeitig lösen. Es biete keine Perspektive, zu behaupten, dass es zu viele Menschen auf der Erde gäbe und man dementsprechend sowieso nichts ändern könne. Stattdessen müsse eine grundlegende Transformation über den Kreislaufgedanken verfolgt werden. Tim zufolge lassen sich die Klima- und die Ressourcenfrage zusammenbringen, indem man den aktuellen Ausstoß an CO2 nicht nur unter dem Aspekt der möglichen Vermeidung, sondern auch als misslungenes Ressourcenmanagement betrachtet, dem wir begegnen müssen.

„Wir könnten schon immer im Energieüberfluss leben“

Um das Cradle to Cradle-Prinzip flächendeckend umzusetzen, muss das Energiethema langfristig gelöst werden. Denn wir brauchen Energie, um Rohstoffkreisläufe zu schließen. Dem schließt auch Kemfert sich an: „Wir könnten schon immer im Energieüberfluss leben, wenn wir die größte Energiequelle der Welt konsequent nutzen würden: die Sonne.“ Die Energie selbst sei in der Zukunft also nicht das zentrale Problem, sondern vor allem ihr richtiger Einsatz, ihre Umwandlung und Nutzbarmachung.

Energiewende kreislauffähig gestalten

Tim führte in diesem Zusammenhang an, dass der Gedanke der Kreislaufwirtschaft in der Diskussion rund um den Einsatz erneuerbarer Energien noch nicht genügend integriert wird. Der Ausbau regenerativer Energien sei wichtig, doch müssen die Anlagen auch kreislauffähig sein. Dass saubere Energie notwendig ist, habe sich inzwischen zwar gesellschaftlich durchgesetzt, doch noch zu selten werden Konzepte umgesetzt, die die Erzeugung erneuerbarer Energie mit der Rückführbarkeit der verbauten Ressourcen verbinden. Wenn Kreislauffähigkeit nicht von Anfang an eingeplant wird, entsteht so der Sondermüll von morgen. Etwa durch Teile von Windkraftanlagen aus Kohlenstoffverbundstoffen, bei denen ein sauberer Rückbau nicht möglich ist. Erst wenn Lösungen für die Klima- und Ressourcenkrise zusammengeführt und umgesetzt werden, wird der Umstieg auf erneuerbare Energien wirklich nachhaltig und zukunftsfähig, stimmten Kempfert und Tim überein.

Ganzheitliche Lösungen finden

Die Konzepte für diesen Wandel seien vorhanden, doch nun müsse man ins Handeln kommen, so Kemfert. Neben einer transparenten Bepreisung von externen Umwelt- und Klimakosten sieht sie verbindliche Regeln wie Recyclingquoten als wichtiges Mittel, um einheitliche Rahmenbedingungen für neue Lösungen und Ansätze einer Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Für eine zukunftsfähige Wirtschaftstransformation gebe es jedoch keinen einheitlichen Weg, der in allen Bereichen zum Erfolg führe. Vielmehr müssten sich die Förderung von Innovationen und die Anwendung von Instrumenten des Ordnungsrechts sinnvoll ergänzen. Auch der Green New Deal der EU habe die Kreislaufwirtschaft auf seiner Agenda – er müsse nun mit Leben gefüllt werden. Priorität habe es nun, in ganzheitlichen Lösungen zu denken und den Kreislaufgedanken, der auch politisch immer relevanter werde, in allen Bereichen umzusetzen: „Cradle to Cradle ist absolut der richtige Weg“, so Kemfert.

Eine Premiere und eine Politikerin im C2C LAB

Eine Premiere und eine Politikerin im C2C LAB 2560 1920 C2C LAB

Weil wir durch die Coronapandemie derzeit keine Veranstaltungen in unserem C2C LAB durchführen können, haben wir diese kurzerhand ins Internet verlegt. Nach der ersten virtuellen Tour durch das LAB (LINK) stand am Donnerstag, den 2. April, die nächste Premiere an: Der erste LAB Talk, bei dem die Europaabgeordnete Delara Burkhardt (SPD) zu Gast war.  

Ein gut funktionierendes Headset ist derzeit der wichtigste Ausrüstungsgegenstand eines Mitglieds des Europäischen Parlaments. Normalerweise, so erzählte Delara im LAB Talk mit unserer Vorständin Nora,  ist sie nonstop zwischen Brüssel, Straßburg und ihrem Wohnort Kiel unterwegs, trifft dabei viele Menschen, arbeitet im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit oder sitzt mit den gut 700 weiteren EU-Parlamentarier*innen zusammen und stimmt über Gesetzesvorlagen ab. Durch die Coronapandemie entfällt all das – stattdessen sind nun Videokonferenzen und digitale Abstimmungen an der Tagesordnung. “Das alles jetzt auf die eigenen vier Wände zu übertragen, nicht mehr so viel unterwegs zu sein und neue, digitale Formate auszuprobieren, ist eine spannende Erfahrung”, sagt die 27-Jährige. 

Eines steht für Delara fest: Die Arbeit der EU-Kommission und des EU-Parlaments muss derzeit reibungslos weiterlaufen. Nicht nur um Maßnahmenpakete zur Bewältigung der Coronakrise und Verbesserung der Situation Geflüchteter an den EU-Außengrenzen zu verabschieden. Sondern auch, um die Umsetzung des jüngst von der EU-Kommission vorgelegten Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft voran zu treiben. 

“Wenn wir in der EU über die Einhaltung der Klimaziele sprechen, kommen wir an einer Kreislaufwirtschaft nicht vorbei”, sagte Delara. Mehr als die Hälfte der europäischen CO2-Emissionen stammten daraus, wie wir Ressourcen gewinnen und verarbeiten.  “Daher brauchen wir eine kluge Politik, um die Ressourcen, die wir verbrauchen, in einen Kreislauf zu bringen”, so Delara weiter. Der Aktionsplan, den die EU-Kommission im Rahmen des Green Deals erstellt hat, sei aus ihrer Sicht ein solcher politischer Ansatz. Darin werde ganzheitlich der gesamte Lebenszyklus von Produkten betrachtet. Durch ihn solle auch der vermeintliche Widerspruch“ entweder geht es der Umwelt gut, oder den Menschen”, aufgelöst werden.  

Dass der Aktionsplan beim Design von Produkten ansetzt, ist auch aus Sicht von C2C NGO der richtige Weg, wie Nora erläuterte. Auch dass die Kommission Product-as-a-service-Modelle darin erwähne, bei denen nicht das Produkt, sondern dessen Nutzung bezahlt werden. “Dieses Thema diskutieren und forcieren wir seit Jahren – und jetzt kommt es langsam an. Das finde ich positiv”, so Nora.    

Ein Kritikpunkt an dem Paket sei der Fokus auf die Langlebigkeit von Produkten. Auch Autoreifen seien über die Jahre immer langlebiger konzipiert worden, so Nora. Das habe dazu geführt, dass der bei der Nutzung entstehende Feinstaub immer feiner und damit schädlicher für Mensch und Umwelt wurde. “Hier wurde nicht auf das Nutzungsszenario geachtet. Ein Autoreifen muss so gemacht sein, dass sich die Materialien, die abgerieben werden, in der Biosphäre abbauen können”, so Nora weiter. Die Nutzung schädlicher Chemikalien werde im Aktionsplan angesprochen, so Delara. Ebenso wie die Nutzung von Bio-Kunststoffen. Der Gedanke spiele also in dem Papier durchaus eine Rolle.   

Auch die Frage der Kohärenz werde in den europäischen Ausschüssen im Zuge des Green Deals immer wieder diskutiert. “Es kann nicht sein, dass wir ambitioniertere Klimaziele fordern, und auf der anderen Seite dafür sorgen, das unnachhaltige Projekte durch EU-Mittel subventioniert werden”, sagte Delara. Das entspricht auch der Forderung von C2C NGO nach einer realeren Preispolitik, die Umwelt- und Klimaschäden nach dem Verursacherprinzip abbildet.  

Generell sei der Aktionsplan “work in progress”, so Delara – und andressierte damit auch eine Frage aus dem virtuellen Publikum. Organisationen sowie Bürger*innen können sich bei der Gestaltung konkreter Vorschläge und Gesetzesvorhaben, die aus dem Aktionsplan folgen müssen, einbringen. Etwa, indem sie an ihre EU-Abgeordneten schreiben. Mit diesem Engagement hänge auch zusammen, wie stark die Klima- und Umweltpolitik der EU in den nächsten Monaten vorangetrieben werde. Bei der letzten Europawahl war dieser Bereich eine der wichtigsten Grundlagen für die Wahlentscheidung der Bürger*innen. Darüber habe das EU-Parlament den Druck auf die EU-Kommission aufbauen können, der letztlich auch zum Green Deal geführt habe. “Daran müssen wir auch jetzt wieder erinnern. Ich bin der Meinung, dass die Politik in der Lage ist, mehrere Krisen auf einmal zu händeln”, so Delara. Ziel müsse es sein, den Green Deal zum Herzstück “eines Wirtschaftsaufbauprogramms nach Corona” zu machen.